Oktober

Donnerstag, 1.10.

Heute gleiches Thema, Schritt, Schlangenlinien, locker schütteln. Er fing immerhin so entspannt an, dass ich die „kleine Hofrunde“ am langen Zügel gehen konnte – zum ersten Mal ganz am Anfang! Und hinterher konnte ich sie sogar am hingegebenen Zügel gehen, zum ersten Mal! Sehr cool.

Heute also wieder locker geschüttelt, geschüttelt, geschüttelt, er nahm es ganz gut an, der Hals wurde runder, links vergaß er zwei Mal sogar, sich aufzulehnen, hihi…
Und dann bekam ich zum allerersten Mal im Trab ganz kurz einen Zug in die Hand, der fast bis in den Rücken ging. Eine Sekunde, zwei – aber die richtige Idee. Genial!

Ich bin sehr gespannt, wie sich das alles weiter entwickelt, und die beiden nebeneinander zu erleben ist natürlich sauspannend.

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Freitag, 2.10.

Der Vertrag ist unterschrieben…
Er gehört mir!
Oder ich ihm….?

So langsam stieg das Glücksgefühl hoch. Es fühlt sich so richtig an. Er wird reiterlich eine richtig harte Nuss und für mich eine echte Herausforderung – aber wir kriegen das hin!
Ein dümmliches Grinsen machte sich breit in meinem Gesicht.

Die Namensfrage stand allerdings noch im Raum. Auf Destino reagierte er überhaupt nicht. Und auf meine Frage hin meinte er – zu Recht – unsere Geschichte sei zwar Schicksal, Fügung, Bestimmung, aber er sei das nicht.
Oh.
Ich suchte also Namen. Ich suche ja immer nach etwas, was einen positiven Ist-Zustand beschreibt oder einen, der mal sein soll. Mein Zettel füllte sich, aber so der Hammer war nicht dabei, nichts wollte so richtig passen. Ich probierte ein paar Namen an ihm aus, und das hätte man jetzt wirklich filmen müssen. Er gähnte, er schüttelte den Kopf, er drehte sich weg, von ihm kam immer nur ein Grinsen, „Nö. Such weiter.“ Na super!

Abends wieder zu Hause ging die Suche weiter. Ich suchte unter anderem nach „Perlmutt“, weil seine Mähne heute Mittag wie Perlmutt geschimmert hatte.
Und dann kam es.
Perlmutt: Nacarino.
Anhänglichkeit, Schätzchen, Liebling: Cariño.
Und so verband ich diese beiden Begriffe miteinander und nun heißt er Nacariño.
Und dagegen hat er jetzt nicht mehr zu widersprechen. So!

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Samstag, 3.10.

Tat er auch nicht. Ich probierte den Namen aus und er kam mir entgegen und bedachte mich mit diesem wunderbar warmen, weichen Blick, den ich so an ihm liebe.
Nacariño…

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3

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Montag, 5.10.

Kaum gehört der mir, zeigt der mal, was er gelernt hat.
Holla die Waldfee.

Es fing alles so schön an – die Sonne schien, er kam mir auf der Weide freudig entgegen. Ich musste erstmal lachen, als ich mich sagen hörte „Na, Cariño?“ So kann man den Namen natürlich auch aussprechen 🙂

Da Jessica erzählt hatte, dass er sich nicht immer einfangen lassen wollte und durchaus auch mal abgehauen ist, lasse ich IMMER ihn kommen, wenn ich ein Halfter dabei habe, auch beim auftrensen oder in der Box aufhalftern, warte ich, bis er sich mir zuwendet. Tatsächlich würde ich sonst wieder gehen und etwas anderes machen, um ihn neugierig zu machen. Ist ja nicht so, dass ich im Stall nicht genug zu tun finden würde!

In der Box zieht er sich ganz oft noch einmal zurück und ich mache generell Halfter oder Trense erst drauf, wenn er von sich aus gekommen ist. Auf der Weide hat er sich bisher noch nie abgewandt. Ich gehe aber auch oft einfach so einmal hin, nur zum Streicheln, nicht immer nur, wenn ich etwas will. Das finde ich generell wichtig und mache es bei allen Pferden. Einfach mal die anspruchslose Streicheleinheit zwischendurch.

Zurück zum Thema, die Sonne schien immer noch, ich holte ihn rein und putzte. Ich saß auf, und da ich ihn Freitag zuletzt geritten hatte und er arg klemmig ging (was ich auf die neue Schabracke zurück führte, die eine nicht ganz so kuschelig weiche Unterseite wie meine meisten anderen hat), war ich vielleicht noch wachsamer als sonst, weil ich mit dem Klemmen durchaus rechnete.

Er war unruhig beim Aufsitzen (da steht er sonst wie ein Baum), guckte zum Platz und meinte „och nöööö…“ und da der Klügere nachgibt, steuerte ich direkt die kleine Hofrunde an. Die auch sofort am ziemlich langen Zügel, nach dem Motto, ich vertraue Dir, dann kannst Du mir auch…

Er ging fleißig und einigermaßen entspannt, das Monster-Gerät auf dem Feld interessierte ihn nicht (war aber auch ziemlich weit weg), danach ging ich auf den Platz.

Er klemmte, ließ sich aber ziemlich gut darüber weg treiben. Sogar mit Gerte, mit der ich ja generell lieber treibe als mit dem Bein. Am Bein ist er mir ohnehin nicht empfindsam genug, und für so ein normales „geh weiter“ will ich einfach kein Bein nutzen müssen. So werden meine alle erzogen. Da muss ein Schnalzer und eine Berührung der Gerte ausreichen. Bein ist für seitwärts und Versammlung da, nicht für vorwärts! Kennt er anders und stellt er in Frage, lernt er schon noch. Spätestens, wenn er von seitwärts und Versammlung eine Ahnung bekommt 🙂

Er war angespannt, guckte viel zu den Weiden, alle waren besetzt mit Pferden, was er so vielleicht noch nicht gesehen hatte. Zum Glück war im Nachbargarten nichts los – da bin ich ja auch noch gespannt, wie das wird, wenn da erstmal das Kleinkind Arme, Beine und Stimme erprobt und den Garten erkundet…
Ich schüttelte ihn locker, er war tatsächlich auf beiden Händen gleich. Gleich gut wage ich nicht zu sagen, weil es von „gut“ noch weit entfernt ist, aber für seine Verhältnisse war es ziemlich gut. Vor allem fiel er links längst nicht mehr mit dieser Wucht auf die innere Schulter wie zuvor.
Aber er war spannig und fest und fühlte sich phasenweise fluchtbereit an. Kratzte mich nicht, ich ließ ihn immer mal wieder traben und halten und halten und traben und dachte dabei noch, was sind diese Stiefel glatt, wenn der jetzt was macht, hält mich nichts mehr. Dachte ich so. Aber er machte ja nichts.

Wir standen also mal wieder an der oberen kurzen Seite (die an Nachbar’s Garten) rum und genossen die Sonne, da spürte ich in der einen Sekunde sein Lauschen, Suchen, Anspannen und in der nächsten schoss er wirklich wie ein Katapult los.
Meine Güte!! Was für ein Turbo!!

Ich hatte einen sehr lässigen Zopf gemacht und das muss ich mir dringend abgewöhnen. Die langen Mähnen flechte ich generell ein zum Reiten, damit keine Haare in den Fingern hängen, wenn man denn mal den Zügel nachfassen will. So wie jetzt. Ich griff nur in Haare. Verdammt!!!
Er raste in einem abartigen Affenzahn über den Platz, ich wollte auf keinen Fall in beide Zügel fassen und fasste also nur den, der vom Ausgang weg zeigte und als ich den dann endlich zu fassen hatte, zog ich ihn schlicht links rum. Ich dachte, er geht durch den Zaun. Er war wie von Sinnen. Gefühlt über dem Zaun hielt er an, und auch das von jetzt auf gleich. Ok, das hat er so nicht zum ersten Mal gemacht. Halleluja.
Er stand, ich fiel ihm sofort um den Hals, kuschelte, lobte, beruhigte, fühlte sein Herz an meinem Steifel schlagen. Das habe ich noch nicht oft im Leben gefühlt – und es ist nicht schön.
Er war bretthart in der Widerristgegend und leider auch im Rücken, so dass ich das Gefühl hatte, dass der Sattel ins Rutschen kommt. Na das hätte ja jetzt noch gefehlt. Ich fasste an den Gurt, wagte aber nicht, den noch enger zu ziehen, ich fand den eng genug. Da wollte ich jetzt keinen Zwang erzeugen. Und wir wissen ja, wer hier entscheidet, was Druck ist, gell?
Nicht ich.

Er kam ein bisschen zu sich. Und ich weiß nicht, warum ich gerade so bin, wie ich bin, ich sitze derartig unverfroren auf diese Pferd, der kann mich einfach nicht wirklich schocken. Ich hatte zwar einen Puls von 230 und dieses Pferd zu reiten fühlt sich generell an, als hätte man bewusstseinserweiternde Drogen genommen – mein Gehör ist anders, ich sehe anders, vor allem nehme ich ihn mit seiner Atmung und seinen Bewegung ungeheuer „scharf“ wahr – aber Angst ist das nicht. Es ist eine ungeheure Wachsamkeit und eine Reaktionsschnelle, die ich mir mal im Straßenverkehr wünschen würde (na da habe ich sie in gefährlichen Situationen wohl auch), aber eben zum Glück nichts, was sich nach Angst anfühlt. Und der könnte einem wahrlich den Schneid abkaufen, das ist fühlbar. Er ist schlicht unkontrollierbar, wenn er so losgeht.
Ausatmen!

Das taten wir beide, und schließlich bat ich ihn, wieder loszugehen. Das tat er und fühlte sich dabei ähnlich hölzern an wie an dem Tag, als ich zum ersten Mal drauf saß. Das gab sich aber wieder. Wir kamen wieder an der kurzen Seite an, er spannte an, ich erzählte ihm, dass diese seine Angst totaler Quatsch sei und sich einfach nicht lohnt, und dieses Mal gab er mir eine Sekunde Zeit, um wahrzunehmen, dass er jetzt durchstarten würde. Und dann startete er durch.
Nun allerdings war ich darauf gefasst, er allerdings – intelligentes Kerlchen – war seinerseits darauf gefasst, dass ich nach links lenken würde. Da hätte ich auch versuchen können, eine Hauswand rumzuziehen. Er zog zum Ausgang. Nehehe! dachte ich, auf keinen Fall gehst Du vom Platz! Wir standen zwei Meter neben dem Ausgang direkt vor der Stallwand. Ich glaube, er ist sogar noch leicht mit dem Kopf dagegen gestoßen.
2:0 für mich.

Sein Herz schlug nicht mehr gegen meinen Schenkel. Er wurde überlegter, bei dem, was er tat. Das war ja fast noch schlimmer, als wenn ihn ehrliche Panik erfasst.
Mach Du nur, dachte ich, wir gehen da jetzt wieder hoch. Wir gingen da wieder hoch, und er setzte ziemlich überlegt zum Durchstarten an und beobachtete dabei genau meine Reaktion. Und die verwirrte ihn völlig. Ich ließ die Zügel lang und ihn galoppieren. Das nahm ihm das Tempo und den Reiz. Es kam nichts zurück von mir. Ich saß drauf, ließ ihn rennen, und wartete. Ich lenkte nur am Ausgang vorbei, das war problemlos und ging schnell, danach hielt er reichlich verblüfft an.
3:0.

Ich lobte ihn wie verrückt, kuschelte, streichelte, es gab einen Keks, den er sehr nachdenklich kaute.
Wir gingen wieder da hoch. Er überlegte kurz, loszugehen, überlegte es sich anders, und dann überraschte ich ihn richtig. Jetzt galoppierte ich an. Er war völlig überrascht und schoss los. Die Zügel hingen durch, er wusste nicht wohin, jetzt war es schließlich nicht seine Idee gewesen, und unten hielt er an.
4:0.

Wir gingen wieder hoch, ich galoppierte wieder an und lenkte ihn oben auf den Zirkel. Und dann kam ich zum Treiben. Da wollte er nicht wieder hin, ich aber, seine Abhau-Idee hatte nicht funktioniert, meine Treibe-Idee aber, und so wirkte er wirklich total verblüfft. Er bettelte geradezu darum, durchparieren zu dürfen. Durfte er. Mitte der kurzen Seite. Och nee, nicht hier, meinte er. Hier oder gar nicht, meinte ich. Und wir gehen hier jetzt so oft lang, bis Du nicht mehr zuckst. Er ging los. Zuckte so richtig mit einem Hinterbein. Ich galoppierte an und ließ ihn den Zirkel galoppieren.
5:0.

Wir parierten Mitte der kurzen Seite wieder durch. Ich sagte ihm, dass wir den Platz verlassen, wenn er eine komplette Runde völlig ohne zu zucken durchhält. Und ritt wieder an. Er zuckte minimal in der linken Schulter. Ich grinste und meinte, ich habe das gemerkt, ich meine ganz ohne Zucken. Also noch eine Runde. Er seufzte. Und ging noch eine Runde. Ohne zu zucken.
Ich lobte ihn ausgiebig und verließ mit ihm wie versprochen direkt den Platz.
Er dachte nach.

Ich gab ihm dazu Zeit auf der kleinen Hofrunde. Und dachte, ich gehe die mal andersrum. Dabei kommt man hinter dem neuen Stall an der Weide vorbei, Tina und Cincentara standen dort und grasten, Cinni hatte ihn weder gesehen noch gehört und erschrak fürchterlich, als sie ihn wahrnahm. Sie schoss los, prustend. Nacariño zuckte irrsinnig zusammen, ich fasste kurz in beide Zügel, er stand sofort – und blieb stehen. Wie geil!!

Ich ließ ihn zu den Stuten gucken, hielt ihn nicht fest, er stand, guckte, beruhigte sich.
Ich ritt wieder los. Er war höchst aufmerksam und angespannt, aber nicht schlimm. Soweit alles gut. Die Runde war fast zu Ende, aber da waren ja noch die Gänse und die Puten. Eine Gans badete gerade und planschte. Nacariño zuckte wieder so richtig zusammen, starrte da hin und wollte los. Ich hielt ihn am Platz, er musste sich das angucken. Tat er prustend.
Die Runde ging von vorne los, da er ja nun nochmal an der Weide vorbei musste. Cinni staunte ihn an, er staunte zurück, aber alles war ok.
Nun hatten sich die Gänse aber verabredet. Fünf von ihnen hoben beeindruckend die Flügel, als er kam. Er brach fast zusammen vor Schreck und musste wieder stehen und gucken. Ich steckte ihm einen Keks ins Maul, er hatte aber keine Zeit, zu kauen.
Isser nich süß??
Runde drei. Stutenweide kein Problem.
Gänse – zucken und staunen.
Ich sagte, wir gehen die Hofrunde jetzt so lange, bis er nicht mehr zuckt. Ich habe Zeit.
Wir können die auch im Dunkeln gehen (es war 15.00 Uhr).

Er ging die Runde noch einmal und fragte am Ende seufzend, ob das denn jetzt wenig genug gezuckt sei? Ja, war es. Ich lachte, kraulte ihn und wendete Richtung Stall.
Puh, da war ihm aber schon eine gewisse Erleichterung anzumerken! Lach… Wie süß. Wollen doch mal sehen, wer sich hier durchsetzt. Ich schätze mal, auf Dauer ich.

Ich brachte ihn auf die Weide zurück, er war total entspannt, ihm fielen ein bisschen die Augen zu. Da erlebte ich ihn zum ersten Mal so, wie er in seinem Alter eigentlich sein sollte – ehrlich kindlich.

Er ging nicht weg, als ich ihn entließ, wir kuschelten noch, und dann fing er ganz langsam an, zu grasen.

Na, jetzt bin ich aber wahnsinnig gespannt auf das nächste Mal!

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Freitag, 9.10.

Das nächste Mal ließ ein wenig auf sich warten, es regnete. Und regenete. Und regnete… Am Freitag Mittag hörte es endlich auf. Die Pferde waren alle ein bisschen irre,  alle kernig und frech. Ich spürte sehr deutlich, dass es kein guter Tag ist, um sich auf Nacariño zu setzen, und sofort regte sich mein innerer Widerspruch, der ja immer nicht auf das Gefühl hören will. Im Nachhinein denke ich, Cariño warnt mich tatsächlich. Ich sollte meinem Gefühl unbedingt vertrauen, was ihn angeht. Dieses Pferd arbeitet so gut mit – wenn er kann. Und es gibt eben Phasen, da kann er nicht. Da steht er sich selbst im Weg, da stehen ihm Erinnerungen und Erfahrungen im Weg, und ich tue sehr gut daran, nicht etwas durchsetzen zu wollen, gegen das (m)ein Gefühl spricht.
Ich ritt also nicht, nahm ihn nur am Halfter an die Longe und ging natürlich nach oben an die kurze Seite und longierte dort. Er war unter Strom, aber gehorsam, er konnte sogar ein paar Mal direkt an der kurzen Seite halten, wenn auch nicht lange. Aber das war schon alles ok so.
Und dann wollte ich einmal durchparieren und da konnte er gerade nicht. Ich wollte es durchsetzen und kam sehr schnell mit der Peitsche vor ihn und machte ihm einen Schritt – na, eher einen Sprung – entgegen, was bei jedem normalen Pferd dafür gesorgt hätte, zumindest auszuweichen.
Nicht so Nacariño. Der startete durch, mitten durch die Peitsche, ich musste loslassen, keine Chance, na klar war der Ausgang offen, er gab Speed und raste über den Hof Richtung Feld, also die vertraute kleine Hofrunde. Ich ging in aller Seelenruhe hinterher, der kommt schon wieder, was soll ich rennen?
Auf dem Weg hinten liegen im Moment haufenweise Eicheln. Und es war feucht. Und er kriegte die Kurve nicht. Ich sah ihn nur noch abtauchen, er knallte voll auf die Seite. Scheiße! Kurz danach rappelte er sich hoch, trabte weiter und hielt schließlich vor dem Stall an und graste. Ich sammelte ihn ein und nahm ihn noch einmal mit zum Platz. Er hatte Schürfwunden, eine ziemlich unschöne am Knie, aber insgesamt mal Glück gehabt. Was für ein verletzungsanfälliges Pferd, meine Güte! Sähe auf dunklem Fell ja nicht immer gleich so schlimm aus…

Wieder auf dem Platz ging ich wieder mit ihm nach oben, longierte einfach weiter, und es war alles gut. Ich war etwas behutsamer beim Durchparieren und setzte es nicht durch, wenn zu sehen war, dass es jetzt nicht passte, und so war alles gut.

Ich lasse ihn keinen Groll spüren, das würde nach hinten losgehen. Tatsächlich empfinde ich auch keinen. Ganz oft fühlt es sich so an, als würde er gerne anders, kann aber nicht. Ich glaube ihm diese Angst nicht. Das ist er nicht. Er ist ein starkes Pferd, er braucht keine Angst. Er muss lernen, dass er sie nicht braucht. Er hat gelernt, sich zur Wehr zu setzen, und er hat gelernt, dass das funktioniert. Er überlegt manchmal nicht, sondern schaltet um auf Reflex. Ich brauche also diese Hundertstelsekunde vor dem Reflex. Wenn ich die für mich nutzbar machen kann, kann ich ihn dazu bringen, umzulernen.
Ja, viel Spaß dann auch….

Ich wusch die Schlammspritzer ab, versorgte die Wunden und hoffte, dass er nicht am nächsten Tag mit Elefantenfüßen dastehen würde.

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Samstag, 10.10.

Stand er nicht. Alles war gut. Hart im Nehmen ist er ja. Die Wunden sahen gut aus, wurden wieder versorgt. Dem Gefühl nach durfte ich reiten. Ich fragte zwei Mal nach, das entspannte, positive Gefühl blieb. Also setzte ich mich rauf.
Er startete an der kurzen Seite gleich beim ersten Mal durch. Viel harmloser als letztes Mal, und so richtig war ihm wohl auch nicht klar, warum. Ich ließ los und lachte und kraulte ihn, er hielt dann auch irgendwann brav an und stand. Ich lobte. Und machte direkt die Ansage: „Du weißt – jedes Zucken bedeutet eine weitere Runde.“
Er rechnete innerlich, dachte, so vier, fünf Runden kann man sich ja erlauben, und zuckte einfach mal so vor sich hin. Er ging manchmal sehr unter Strom an der kurzen Seite lang, manchmal etwas entspannter, mal konnte er dort anhalten, mal nicht, mal trabte oder galoppierte er an, mal nicht, und schließlich wurde er ruhiger, gehorsamer, und ich durfte sogar den Hals locker schütteln. Das fühlte sich tatsächlich ziemlich gut an. Rechts auf jeden Fall, links war er sehr viel angespannter. Toll war der Moment, als er mal wieder anhalten konnte an der kurzen Seite, aber die Luft anhielt. Ich bat ihn, einmal auszuatmen. Eine Sekunde später machte er einen ganz tiefen Atemzug…
Ich hörte ziemlich spontan auf und wir gingen die Hofrunde. Wieder die Ansage „für jedes Zucken eine Runde mehr“. Ihm reichte eine Runde. Und man kann sagen, was man will – intelligent ist der, meine Herrn. Wenn er sich mit Zucken selbst bestraft (das scheint er verstanden zu haben), zuckt er halt nicht, sondern geht in Dauerspannung.
Mach Du ruhig, ich kann den Satz auch ändern!  
🙂

Ich wollte ihn noch waschen für morgen, Nic fragte noch, ob ich Hilfe brauche, ich wusste aber, dass sie los musste und sagte „Danke Dir, geht schon!“ – dachte ich.
Ich zog die Longe durch den Ring und fing an, und da das alles so gut klappte und ich beide Hände brauchte, ließ ich los. Nacariño probierte die Länge des „Angebunden-seins“ aus und stellte fest, dass er an einer Endlos-Flexi-Leine hing. Ich griff zwar noch das Ende und ging ein ganzes Stück mit, aber da waren Brust und Unterhals schon steinhart und er stratzte strammen Schrittes von dannen. Als ich am anderen Ende der Longe versuchte, auf das Tempo Einfluss zu nehmen, hatte ich verloren. Weg war er. Mit einer perversen Kraft, der sich besser nichts entgegen stellt.
Ich ging ihm ruhig hinterher, kaute ihm eine Möhre vor und sammelte ihn schließlich irgendwann wieder ein. Ganzes Spiel von vorne. Alles gut – zumindest, nachdem ich endlich zum Waschplatz bekommen hatte. Da mag er einfach nicht stehen. Irgendwann war er so nah am Ring, dass ich die Longe gegen den Strick tauschte und ihn anband.
Kein Problem. Er stand. Ich hatte den Knoten so gemacht, dass ich ihn sofort würde aufziehen können. Offenbar ging das Ding aber auch von selbst auf – ich konnte es nicht fassen, als ich ihm ein zweites Mal hinterher guckte. Weg war er. Die Shampooflocken flogen und er verschwand Richtung Straße. Mann!! Da kam kurz Wut in mir hoch, die ich aber – wenn das mal immer so funktionieren würde! – sofort runterschlucken konnte in dem Wissen, dass ich ihm so nicht entgegen treten darf. Ich sammelte ihn also wieder ein, bugsierte ihn irgendwie wieder auf den Waschplatz und band ihn etwas ernster gemeint an. Und dann konnte ich in Ruhe zu Ende waschen, alles war gut. Also der soll mir nichts von Angst erzählen. Der hat keine! Aber in ihm läuft ab und ein Programm ab.

Er sah wunderbar aus – weiß, und dann diese schimmernde Mähne… Perlmutt eben…

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Sonntag, 11.10.

Dieser Wunder-volle Tag hat einen eigenen Bericht – und der ist hier zu lesen.

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Montag, 12.10.

Hatte ich gestern anfangs so extem wenig Einfluss (genommen), wurde dieser Montag einer der besten Tage, die wir je hatten. Ob es das durch die Fahne bestimmt noch einmal deutlich gestiegene Vertrauen war? Wie dem auch sei – ich durfte von Anfang an „locker schütteln“, Schlangenlinien bis sofort zur kurzen Seite bestimmen und die Gangart durfte ich auch noch angeben. Und zu allem Überfluss ließ Nacariño sich in vielen Linksbögen auch nach links stellen. Er war rittig, so weit er schon rittig sein kann. Und er ging die Hofrunde ganz ohne zu Zucken so dass ich dachte, bevor das hier langweilig wird gehen wir doch nochmal „richtig“ raus. Und so ging ich an der Straße entlang mit ihm, er guckte hier, er guckte da, musste auch einmal den Bürgersteig verlassen, weil ein Anhänger in einem Garten abgestellt war und der gehörte da nun echt nicht hin! Autos waren ihm egal. Ich ging bis zur Wiese und ließ ihn auf dieser sogar eine ganz kleine Runde gehen – und da wieherte von der Weide drüben ein Pferd. Er schrie zurück und wurde blitzartig sehr hampelig, ich sah also zu, dass ich von der Wiese, die ein Rennen ja nun geradezu anbietet, runterkam und ihn wieder entspannte. Er trappelte vor sich hin, war aufgedreht, machte sich am Gebiss aber nicht ein einziges Mal in der Art fest, wie ich es ja nun schon so oft bei ihm erlebt habe, das an sich war schon einmal ein Riesen-Erfolg. Und dann bat ich, nun aber doch einfach wieder zu schreiten und – plopp – fiel er in den Schritt. Wenn das nur immer so einfach wäre. Ich sollte mal versuchen, ihm in Worten eine Piaffe zu erklären. Mal sehen, was dann passiert!?
🙂

Wir kamen heil und sehr zufrieden wieder zu Hause an und ich stellte Nacariño zum ersten Mal mit Flamenco zusammen, der seit gestern bei uns war. Casall hatte den armen Flamenco ohne Erbarmen gejagt und stand nun zwar seinerseits kurz vor’m Herzinfarkt, ließ Flamenco aber nicht auf 80 Meter an das Tor. Und auch nicht an’s Wasser.
Und dann kam Nacariño, die beiden staunten sich an, dann brüllten sie mal ein bisschen rum und guckten, wer lauter kann – und dann begann hier eine wunderbare Freundschaft. Den restlichen Nachmittag waren die beiden ein Herz und eine Seele und unzertrennlich. Casall bewachte schwer atmend das Tor und Nacariño bewachte Flamenco.

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Mittwoch, 14.10.

Das war unser wohl bester Tag bisher. Ich durfte von Anfang an Schlangenlinien reiten, sofort bis oben zur kurzen Seite, durfte stellen und biegen – sogar nach links -, durfte schließlich in den Schlangenlinien Schritt und Trab abwechseln, durfte (manchmal…) an der kurzen Seite halten, durfte „locker schütteln“, und Nacariño suchte nachher einen Hauch von Dehnung. Na, das kann auch ein Versehen seinerseits gewesen sein.
Das Gefühl war echt gut! Bitte, bitte, weiter so…!

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Donnerstag, 15.10.

Nicht ganz. Er übernahm wieder das Kommando über die Gangart und wählte ab E bzw. B. generell den Galopp – von mir aus… Er haute nicht wirklich ab, war aber unter Strom, was sich allerdings nach zehn Minuten gab und dann durfte ich mehr und mehr die Führung übernehmen. Und das nachher sogar so weit, dass ich etliche Male mit einfachem Galoppwechsel aus dem Zirkel wechselte! Bei jedem aus-dem-Schritt-angaloppieren klemmte er zwar kurz und drückte mir die Rippe entgegen, aber ich schnalzte drüber weg und lobte sehr sein Anspringen. Nach seinem ersten relativ freien Anspringen wagte ich dann sogar eine Schlangenlinie drei Bogen mit Wechseln Schritt – Galopp – Schritt. Wow!

Wir waren beide sehr zufrieden danach, gingen eine entspannte Hofrunde am fast langen Zügel incl. Pfütze (kurzes Ausweichen – „spinnst Du? Rein da!“ – „Ok ok…“).

Das war gut, das war gut, das war einfach gut!
🙂

Übrigens habe ich noch Fotos vom 28.9. in einem Ordner gefunden, den ich noch nicht komplett durchgeguckt hatte – da sind also jetzt noch ein paar Bilder mehr zu sehen!

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Sonntag, 18.10.

Unser bester Tag bisher! Habe ich das nicht vor ganz kurzer Zeit schon mal gesagt? Tatsächlich hatte Nacariño heute nicht ein einziges Mal das Bedürfnis, anzugaloppieren, geschweige denn, abzuhauen; er ging von Anfang an überall hin, war für seine Verhältnisse enorm entspannt, brummelte nach kurzer Zeit vor sich hin und fühlte sich ganz offensichtlich wohl. Obwohl der Platz unter Wasser stand, was er sonst ja nicht schätzt.
Nic ritt gleichzeitig und anfangs zog Nacariño sehr zum anderen Pferd hin, nachher konnte ich daran vorbei und darauf zu und alles war gut.
Ich ließ ihn mehrmals einfach rumstehen und sprach mit Nic, er döste vor sich hin und stand am hingegebenen Zügel.

Nach links stellen war wieder mal Glückssache, so richtig locker schütteln ließ er sich auch nicht, dennoch bekam ich nachher auf der linken Hand an der langen Seite im Trab zum ersten Mal fünf Meter echten Zug zur Hand. Das Gefühl kam kurz darauf fast so gut noch einmal und damit hörte ich dann auch begeistert auf.

Das lässt sich noch so überhaupt nicht provozieren und schon gar nicht abrufen, aber dass es überhaupt jetzt einmal fühlbar wurde, war ein großartiger Moment.
Und die Ruhe heute in Nacariño war auch großartig.

Wir gingen noch die kleine Hofrunde incl. Pfütze, Nacariño war sehr aufmerksam und nicht vollkommen entspannt, zuckte aber auch nicht.

Im Stall ließ er mit sich rangeln und rumalbern – er mag es meist nicht so, wenn ich ihm im Schopf rumwuschel und ich provoziere immer wieder, dass er schnelle Handbewegungen in Kopfnähe gut aushalten kann, also wuschel ich darin rum.
Das konnte er heute nicht nur gut aushalten, er schien sich sogar vorgenommen zu haben, das mal ein bisschen zu genießen, wenn er dem schon nicht entgehen kann.

Zudem steckte er zum wiederholten Mal den Kopf von selbst in das Halfter – aber das Gebiss nimmt er noch immer nicht von selbst. Wird schon noch.

Ich wollte nach dem Reiten die Beine abwaschen, ging zum Waschplatz, Nacariño schnorchelte und zögerte, ließ sich aber ohne großen Widerstand hinführen und ich durfte ihn direkt anbinden. Direkt davor hatte er ganz leicht am Strick probiert, ob er sich stark machen und weggehen könnte, tat es aber nicht.

Ich lobte und fütterte und holte behutsam den Schlauch und konnte problemlos die Beine abspritzen. Super! 

Da ich mit Dón in der Halle war und der Hänger noch da stand, als ich zum Stall zurück kam, band ich Nacariño auch gleich nochmal am Hänger an (Strick-Test), räumte die Transportgamaschen raus (Geschnorchel), ließ die Rampe runter (erneuter Strick-Test incl. Geschnorchel) und dann führte ich ihn da hin.
Mir war sehr klar, dass es hier für ihn ein Leichtes wäre, sich in den Strick zu hängen und einfach davon zu marschieren, er setzte auch zwei, drei Mal an, aber nicht so richtig ernsthaft. Ich wuschelte in seinem Schopf herum und alberte rum und das nahm ihm so ein bisschen den Wind aus den Segeln. Er blieb also da und taperte ein wenig hin und her, stellte die Vorderbeine auf die Rampe und nahm sie wieder runter und wusste nicht so Recht, wohin mit sich. 

So etwas mache ich normalerweise nie. Ich „übe“ kein Verladen. Ich verlade. Und dann fahre ich. Und dann sind sie Mittelpunkt und werden super toll gefunden und das nimmt dem Hänger und dem gefahren werden die Wichtigkeit.

Hier war die Gelegenheit nun so günstig und ich habe ehrlich gesagt noch Skrupel, mit ihm in die Halle zu fahren. Ich möchte nicht gegen die Bande fliegen, nur weil er in der Stallgasse nebenan etwas hört, was er nicht sehen kann, oder im Casino etwas sieht, was er nicht hören kann…

Also nahm ich den Hänger als willkommenes Spielzeug und stellte auch gar nicht die Anforderung, dass er ganz raufgehen sollte. Er zog ein paar Mal rückwärts, ich war aber jedes Mal schnell genug, ihn zu lassen, so dass kein Gegenzug entstand.

Ich stellte schließlich die Wand breit, er schnuffelte da rum und war bekennend unsicher und immer zur Gegenwehr bereit, fand aber keinen rechten Grund dafür, ich lockte und fütterte, wenn er näher kam, und plötzlich stand er mit allen Vieren auf der Rampe, die Vorderbeine waren im Hänger, und da kaute er ganz ruhig einen Keks.
Und dann schob ich ihn rückwärts runter, lobte, kuschelte und brachte ihn wieder in die Box.

Ich muss alleine verladen können. Immer. Wenn ich Hilfe habe, toll, aber ich habe eben nicht immer welche und will darauf auch niemals angewiesen sein. Es ist also elementar wichtig für mich, dass meine Pferde selbständig auf den Hänger gehen.
Bei Dón wird das offensichtlich überhaupt kein Thema sein, bei Nacariño wird das noch eins. Aber keines, dessen Wichtigkeit ich ihn spüren lasse – auch mit ihm werde ich einfach einige Male fahren, und sei es nur, um ihn in der Halle laufen und wälzen zu lassen, Hauptsache wohl fühlen und das mit einer kurzen Fahrt verbinden, dann wird auch er eines Tages sicher und problemlos verladbar sein, da bin ich sicher. Spannend, wie lange das alles mit ihm dauern wird, aber ich habe eine derartige Sicherheit in mir, dass es klappen wird, schon komisch, wo das herkommt.
Gut, dass es so ist.

Plan also (ich sage, dass es so wird, er darf sagen, wie lange er braucht): Durchlässigkeit und Nachgiebigkeit beim Reiten, zum Treiben kommen und den Hals abrufbar lang machen dürfen; mehr Ruhe und Gelassenheit im Stall beim Putzen und Fertigmachen und überall beim Anbinden, ohne dass er testet, ob er wirklich gehalten wird; dasselbe gilt für das Führen überall – er muss aufhören, sich fest und stark zu machen und einfach auf und davon zu marschieren. Geht gar nicht. Verladen rauf runter vorwärts rückwärts ohne Nachzudenken – naja, all diese Dinge eben…

Und da von einigen dieser Dinge heute Ansätze in die richtige Richtung erkennbar waren, erkläre ich das zu unserem besten Tag bisher!
🙂

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Montag, 19.10.

Der Platz stand noch immer unter Wasser, aber das Wetter war schön. Ich ließ Dón und Nacariño auf den Platz, damit sie mal frei laufen und spielen konnten. Derweil äppelte ich die Weide ab. Und dann holte ich das Podest und stellte das auf den Platz. Dón kam sofort an und stand innerhalb von Sekunden drauf. Nacariño guckte aus einiger Entfernung zu, wie Dón sich mit dem Podest beschäftigte. So einen Keks hätte er ja auch gerne…
Dón ist ohnehin massiv eifersüchtig, aber hier wurde er echt frech. Das war SEIN Podest, daran ließ er mal keinen Zweifel. Also ließ ich mal keinen Zweifel daran, dass das immer noch MEIN Podest ist. Und das darf (und soll) Nacariño auch benutzen!
🙂

Tat er schließlich auch. Es dauerte eine Weile, bis er sich traute, das Bein, das ich raufgestellt hatte, zu belasten und ganz hoch zu kommen. Als er das dann aber einmal gemacht hatte, stand er lange oben, ging wieder runter, kam wieder rauf – ich war fast versucht, beide raufzustellen, da Dón ohnehin schon versuchte, mir auf den Arm zu krabbeln. Er war echt witzig, machte es aber nicht einfacher.
Aber die beiden werden eines Tages zusammen drauf stehen, da bin ich sicher!

Toll war auch, dass Nacariño zum Einen beim Freilaufen zum ersten Mal relativ freie Bewegungen zeigte – da war zu sehen, was im Trab mal möglich wird! Das war echt gut!

Zum Anderen kam er mehrere Male auf Pfiff zu mir. Das war neu. Er war verspielt und anhänglich, ließ sich die Peitsche auf den Rücken legen und ich durfte die Peitsche – vorsichtig – über ihm schwingen. Er blieb frei bei mir. Das war echt klasse!

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Mittwoch, 21.10.

Es schneit, wenn ich Nacariño putze… 🙂
Irgendwas ist anders. Er guckt mich anders an. Er wirkt größer. Er wird – na, albern wäre jetzt zu viel gesagt, aber irgendwie aufgeschlossener. Und beim Putzen zuckte er zum ersten Mal nicht, als der Striegel über die Sattellage fuhr – in dieser Gegend ist er fest und empfindlich, und der spannte zwar die Muskeln an, als ich hier abdrückte, aber auf den Striegel reagierte er zum ersten Mal nicht!

Er war kuschelig, witzig, fröhlich. Er stieg von selbst in das Halfter ein und nahm das Gebiss fast von selbst – endlich!

Ich hatte ein wenig gehofft, wieder schreiben zu können, dass dies ein erneuter bester Tag war, aber diese Hoffnung zerschlug sich in der ersten Schritt-Runde auf dem Platz. Die Runde war sehr klein. Ich kam mal gerade auf den unteren Zirkel, Nacariño war sehr unter Strom, guckig und angespannt.

Es war windig, bunte Blätter flogen, es raschelte – aber das war im Prinzip nicht das Problem. Ich kam auch relativ bald auf den oberen Zirkel. Aber schön war’s nicht. Nacariño klapperte wie wild mit den Zähnen, was bei ihm ein klares Anzeichen für Stress ist. Er kann in einer Geschwindigkeit von der einen auf die andere Schulter fallen, dass man alleine davon schon runterfallen kann. Der Sattel ist zum Glück super und gibt wirklich Halt (Joyas letzter…), ich habe die Bügel noch einmal kürzer gemacht, so dass die Winkelung im Bein mir auch noch einmal mehr Halt gibt (ewiges Thema bei neuen Reitschülern – ich mache so ungefähr allen erstmal die Bügel kürzer. Diese überstreckten Beine sind echt eine Krankheit heutzutage. Blockieren das Becken und lassen nicht sitzen. Und dann das Geschrei, wenn ich die Bügel auf Normallänge schnalle und den Reitern alles weh tut, weil die Beine überhaupt keine Beweglichkeit mehr gewohnt sind. Ich biete zwei Freirunden auf Nacariño an – danach wünscht man sich aber kürzere Bügel!).

Er schleuderte da rum und mir wurde bewusst, dass das, was mir gestern beim Laufen lassen so positiv aufgefallen war, wie alles zwei Seiten hat: er wird schwungvoller, losgelassener, freier in der Bewegung. Auch unter dem Reiter. Und damit hebelt er mich jetzt noch schneller raus aus der Bewegung als vorher, als sein Bewegungsablauf noch fest und kurz war, da war das alles besser nachvollziehbar. Jetzt bekommen seine Bewegungen etwas geschmeidiges, elastisches, was natürlich großartig ist, was er aber gegen mich verwenden kann.
Andererseits: er tut es ja nicht. Ich war echt unter Hochspannung die erste Viertelstunde, ich musste so aufpassen, weil er beweglich und schnell war. Ich ritt mit möglichst langem Zügel, wollte den langen Hals, bekam so ein bisschen Pseudo-Dehnung von ihm, aber nichts halbes, nichts ganzes, den Rücken bekam ich kaum. So wachsam musste ich die letzten Male nicht sein. Irgendwas war anders. Schön war’s nicht.

Bewegung hätte die Lage entspannt. Vermutlich. Ich will aber auf keinen Fall, dass er lernt, sich nur über schnelleres Laufen zu entspannen. Er muss unbedingt am Anfang Schritt gehen lernen. Er zwingt mir ohnehin schon oft genug den ersten Trab, den ersten Galopp auf. Das würde ich gerne langsam mal verschieben. Ich ritt Wendungen, um schnell genug reagieren zu können, wenn er los wollte. Das ging relativ lange gut, wenn auch unter Strom. Irgendwann trabte er dann so plötzlich los, dass ich hätte zufassen müssen, um das zurück zu nehmen, also ließ ich ihn. Er trabte ein paar gehetzte Runden und es dauerte ziemlich lange, bis ich so weit an ihn ran kam, dass ich reell lenken und nachher auch treiben durfte. Er hatte sich plötzlich eine andere Ecke zum Anhalten ausgeguckt und stoppte da so abrupt, dass ich einmal fast über den Kopf gegangen wäre. Meine Güte, der war aber auch beweglich heute! So kannte ich das noch nicht.

Er auch nicht, er bekommt gerade ein neues Selbstbewusstsein, in den letzten beiden Tagen ist irgendwas passiert, was ich nicht genau definieren kann, aber er wird spürbar mutiger, aufgeschlossener und gewinnt damit deutlich an Ausstrahlung. So langsam schimmert etwas unter der Maske, die er noch trägt.

Gefühlt von jetzt auf gleich durfte ich dann treiben und lenken. Nach vielleicht zwanzig Minuten, ich gucke ja nicht auf die Uhr, aber diese zwanzig Minuten haben für mindestens 10 neue graue Haare gesorgt. So gestresst hat er mich die letzten Male nicht.

Und da ich ja gerade nur nach langem Hals, langem Hals, langem Hals frage, dachte ich jetzt, nun möchte ich mal aufrichten und ihm einen Rahmen geben. Hoppla! Er probierte ein paar Mal, gegenan zu ziehen, ich hielt freundlich gegen, ohne dass der Arm hart wurde, er wusste nicht so Recht, was er damit anfangen sollte, reagierte aber schon nicht mehr so, wie er noch vor sechs Wochen reagiert hätte – mit festmachen und abhauen. Er blieb da, zwar zappelig und quengelig, aber spürbar mit dem Bedürfnis, herauszufinden, was ich meine und von ihm möchte. Und das war toll, das hat er mich so noch nicht spüren lassen bislang.

Ich durfte kurz aufeinander folgende Übergänge Schritt / Trab / Schritt reiten, und der fing an, die Oberlinie positiv zu spannen und sich immer wieder mal ganz kurz zu tragen. Auch wenn das noch überhaupt nichts damit zu tun hat – meine Phantasie malte mir das Bild, wie er eines Tages passagieren wird. Ob er es sehen konnte, weiß ich nicht (oder ob es gar von ihm kam?), aber es machte etwas mit uns beiden. Wie gesagt, noch in ganz weiter Ferne – aber etwas, wo wir spürbar beide hinwollen. Zusammen.

Danach war er entspannt. Das Zähne-klappern war völlig weg. Und es war das erste Mal, dass auf eine derartige Anspannung eine solche Entspannung folgte. Ich verließ am hingegebenen Zügel den Platz und ging auf die große Wiese. Und er ging völlig gelassen die ganze Runde außen rum – und dann noch eine, weil’s so schön war.

Und dann noch die Hofrunde, Fàsci kam ein Stück mit, er lief mal wieder wie so oft frei auf dem Hof rum und schloss sich uns für ein paar Meter an.

Nacariño zuckte einmal – allerdings für etwas, was den Schreck auch wert war und dafür hat er sich wahrlich wenig erschreckt! Aber, wie das so ist – zucken heißt noch ne Runde…
🙂

Er seufzte nicht mal. Er ging am hingegebenen Zügel noch eine entspannte, zufriedene Runde.

Er wirkte richtig stolz danach. Und zufrieden. Und groß. Und alleine durch diese ganze Mischung heute war es dann vielleicht wieder ein neuer „bester Tag“ 🙂

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Freitag, 23.10.

Da es am heutigen Tag um beide Pferde geht, ist der Text weitgehend gleich. Aber eben nur weitgehend, nicht vollständig gleich 🙂

Es juckte mich, Nacariño als Handpferd mitzunehmen. Mit Dón. Den ritt ich also und ließ mir Nacariño dazu geben. Äh… Ganz leicht machte der es mir nicht. Er hängte sich hinter Dón und ich bekam ihn nicht nach vorne. Dón blies sich langsam auf, der war ihm zu dicht dahinter, Nacariño weigerte sich aber, neben Dón zu kommen.

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Ich hing zwischen den beiden Pferden und dachte nur, ich muss die irgendwie in’s Laufen bringen – also zumindest erstmal Nacariño -, damit sie sich hier nicht einzementieren. Also bat ich Meike, behutsam mit der Peitsche nachzutreiben, und zwar so, dass nur Nacariño sich angesprochen fühlt. Das klappte tatsächlich, Nacariño zog innen nach vorne – und an Dón vorbei. Ich hielt fest, meine Gerte wurde eigendynamisch, die war ja in derselben Hand wie der Strick, der Nacariño hielt, Nacariño versperrete Dón nun plötzlich den Weg, was der überhaupt nicht komisch fand und schon mal tief einatmete, ich schickte ihn also vorwärts, damit er Nacariño aus dem Weg schiebt, was auch klappte, aber wieder eine ungewollte Gertenbewegung auslöste, und nun erschreckte sich Nacariño doch so, dass er davon schoss. Ich musste loslassen.
Hmm, doof.

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Meike sammelte Nacariño wieder ein, der war ein wenig durch den Wind durch diese Aktion und wollte gar nicht mehr so nah ran an Dón. Der ja gar keine Schuld hatte.
Ich nahm den Strick am letzten Ende, damit beide Pferde Platz haben, Meike trieb behutsam an, ich wollte nur ins Traben kommen, damit sie mal in Schwung kamen – und Nacariño schoss wieder innen vorbei, die Gerte drehte sich, und weg war er.
Dieses Abhauen hatte nichts mit dem Festmachen und davon stratzen zu tun, das er am Waschplatz gemacht hatte, er haute einfach vor dieser völlig ungewohnten Situation ab, die ihm nicht geheuer war. Also im Prinzip völlig in Ordnung, ich wollte aber, dass er den Mut aufbrachte, mitzulaufen.
Also wieder eingesammelt und erst einmal mit der Gerte gestreichelt, die Gerte bewegt, bis er die gut aushalten konnte.

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Und dann wieder los. Jetzt ging es einigermaßen – zumindest so lange Meike in Treibe-Nähe war. Danach hängte sich Nacariño sofort wieder an Dóns Kruppe, der nun aber beschlossen hatte, erstmal abzuwarten, was für bekloppte Ideen ich da habe. Er blieb total friedlich, fand es nur nicht witzig, wenn Nacariño vor ihn geschossen kam. Also musste ich zusehen, beide in Gang zu bringen.

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Meike trieb wieder ein wenig nach, Nacariño wollte nach vorne kommen, ich setzte Dón zackig in Bewegung – und dann trabten sie. Und das wollte ich nun erst einmal aufrecht erhalten, bis sie einen Rhythmus fanden. Nacariño traute sich näher, wurde entspannter, konnte die Gerte aushalten (die ich so wenig wie möglich bewegte, ich wollte sie aber zwischen beiden Pferden behalten, weil sie mir auf der anderen Seite nichts brachte). Ich lobte und sagte immer nur „Lauf mit! Komm, mitlaufen, mitlaufen!“ und auf dieses „mitlaufen“ reagierte er schließlich immer besser. Schließlich konnte ich durchparieren und wieder antraben. Nun musste Meike nicht mehr helfen, sie blieb aber da.

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Ich wagte einen Handwechsel. UPS! Außen gehen fand Nacariño nun wieder spannend und gar nicht so toll, er versuchte einmal, abzuhauen, aber jetzt konnte ich Dón schnell genug vor ihn bringen und um ihn herum reiten, so dass er nicht weg konnte. Das war super. Nacariño regte sich ab und kam wieder mit. Und das schließlich auch wieder flüssiger.

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Als Dón allerdings einen Galoppsprung machte, wollte er wieder davonschießen, klappte aber auch dieses Mal nicht. Da abhauen jetzt keine Option mehr war, fing er an, sich mit der Situation auseinanderzusetzen, zu beobachten, und nicht mehr aus der Nummer raus zu wollen, ohne nachzudenken, sondern erst zu überlegen und dann zu handeln. Was heißt, dass er sich nun so weit damit befasste, dass er merkte, dass ihm überhaupt nichts passiert, wenn er einfach mitläuft.

Tatsächlich lief er dann schließlich am losen Strick mit. Ich wagte noch einmal, mit Dón anzugaloppieren – blöde Idee, nächstes Mal 🙂

Ich fragte bei Nacariño Spanischen Schritt an. Er machte ein, zwei Schritte und bot ein Steigen an, was ich so dicht neben Dón allerdings nicht sinnvoll fand. Also ließ ich ihn in Ruhe und fragte Dón nach Spanischem Schritt, der auch brav ein, zwei Schritte machte, bei denen Nacariño uns aber extrem nahe kam. Zu dicht wollte ich sie nun auch nicht beieinander haben, schon gar nicht, wenn sie beide gerade in Imponiergehabe dachten.

Also entspannen, loben, Schritt gehen, freuen, beide einfach nur toll finden…
Und dann doch mal wieder typisch ich, „ich probier mal eben was“.
Ich hielt Dón an, richtete Nacariño neben ihm aus mit Abstand und fragte ein Steigen an. Und bekam es sofort. Freundlich, vorsichtig, mit Distanz. Ich beobachtete Dón sehr genau, der sich davon völlig unbeeindruckt zeigte.

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Und dann kam Nacariño auch endlich so nahe, dass ich seinen Schopf durchwuscheln konnte und er den Kopf fast vor dem Satte ablegte – das fand Dón allerdings dann doch extrem spannend. So freundlich er auch war, ich wusste nicht abzuschätzen, wann er vielleicht doch auf „seinen Tanzbereich“ bestehen würde, also sah ich zu, dass die beiden Köpfe nicht zu dicht zusammen kamen.

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Aber wie großartig!! Nun war super entspanntes Schritt gehen nebeneinander möglich, Nacariño am losen Strick.
Und genau so gingen wir noch die Hofrunde.
Hammer!

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Das war unglaublich anstrengend gewesen, alleine diese hochangespannte Aufmerksamkeit und Wachsamkeit und die blitzschnellen Reaktionen, die vor allem Nacariño von mir verlangte – aber das Ergebnis war einfach nur klasse!
Die beiden sind fünf! Wie genial werden die in ein paar Jahren nebeneinander gehen!

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Ich freue mich so sehr auf alles, was kommt und genieße dabei aber auch den Weg dorthin. Ich bin im Moment dermaßen glücklich mit diesen beiden tollen jungen Pferden…
So verschieden, und dadurch ergänzen sie sich so toll. Trotz aller Anspannung, die Nacariño mich kostet macht das alles gerade einfach nur Spaß. 
Glücklich…!!!!

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Sonntag, 25.10.

Wir hatten einen kleinen Ausritt geplant. Relativ spontan waren wir dann tatsächlich zu viert. Und da es nicht auf die Wiese oder ähnlich wie „Rennstrecken“ wirkende Flächen gehen sollte, beschloss ich – ebenfalls ziemlich spontan – Nacariño zu nehmen.

Ich merke, dass meine Hochspannung nachlässt. Ich bin noch immer sehr wachsam, passe sehr auf ihn auf, versuche, ihm alles Recht und alles möglich zu machen und ihm immer den Raum zu geben, den er braucht, und es wird spürbar, dass er langsam weniger davon braucht. Irgendwie kommt gerade ein anderes Selbstbewusstsein in ihm hoch – vielleicht schon ein Ansatz dessen, was irgendwann später Stolz wird.

Jedenfalls war diese Runde (40 Minuten? Bestimmt…) einfach nur toll. Anfangs höchst aufmerksam, etwas spannig, Zähne klappern (hier und da mal ein bisschen), der Schritt war eher gebunden und phasenweise zackelig. Auf dem Rückweg war er mal in Spannung, als ein Weg zu mehr Tempo einlud, anfangs machte es ihm Angst, wenn er von hinten ein Pferd kommen hörte, noch dazu, wenn das trabte, später fand er überhaupt nicht witzig, dass ein Pferd so deutlich weiter vorne ging, das kam dann aber wieder zu uns, da störten ihn die beiden hinter ihm schon gar nicht mehr und so fühlte er sich vorne oder zu zweit vorne am wohlsten. Ich musste nicht ein einziges Mal wirklich halten, ich konnte am Schluss sogar die Zügel phasenweise auf den Hals legen und er ging in weiten, entspannten Schritten.
Kaiserwetter, Herbstlaub, wunderbares Licht, tolle Pferde und tolle Menschen um mich herum – da geht einem doch wirklich das Herz auf. Nacariño schien immer größer zu werden (er fühlte sich wie 1.70 m an…) und kam wirklich stolz und zufrieden zurück.
War
das
schön!!!

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Montag, 26.10.

Dieses Mal war es eher ein „Halbwissen“, dass plötzlich etwas gehen wird. Ich hatte dieses Gefühl – das ich vor zwei, drei Wochen, als ich darauf angesprochen wurde, noch ganz weit weg gewiesen habe – vor zwei Tagen. Da nahm ich schon einmal ein Utensil dafür mit in den Stall und hängte es „startklar“ in den Schrank. Und heute wurde das Gefühl deutlich. Ich wollte Nacariño am Langen Zügel gehen lassen.

Die Idee wurde hartnäckig, als ich in einem Buch der Escola Portuguesa de Arte Equestre den Zopf des Pferdes sah. Mit Quasten am Stirnband und einem großen am Widerrist, dessen gesamte Kordel in den Zopf eingeflochten war. Das Bild kannte ich, bevor ich meine beiden Jungspunde kannte, aber nun sah ich es vor ein paar Tagen wieder und musste unbedingt wissen, wo ich so eine Kordel samt Quaste („google mal ‚Dings‘!“) herkriege. Das war Freitagabend. Heute morgen fuhr ich in ein Teppich-/Tapeten-/Gardinen-/etc.-Geschäft und kam prompt mit gewünschter Kordel / Quaste wieder raus.

Ich packte noch ein Kostüm und einen Dreispitz ein (mal sehen, wie er später mal aussehen wird…) und so sah unser allererster Versuch am Langen Zügel gleich mal gar nicht so nach einem allerersten Mal aus – und fühlte sich phasenweise auch nicht so an. Ich nenne dieses Pferd glaube ich nochmal um. In Zalando. Ich brauche keinen Schuhladen, um vor Glück zu schreien… Dieses Pferd reicht…

Aber mal von vorne: geputzt, geflochten, nee, wat schön! Langen Zügel dran, Nic meinte „ich geh schon mal vor und hole die Kamera“, ich meinte „nee, warte mal, geh mal mit uns mit, dann kann ich gleich dahinter bleiben“. So machten wir es. Zugegeben hatte ich ein wenig Sorge um Nacariños Hinterbeine – also nicht um seine, sondern um meine in so unmittelbarer Nähe. Ich bat ihn also, dass er mir vertraut. Er sah keinen Grund, das nicht zu tun. Nic ging los, er ging mit, ich hinterher, ganz dicht dran, sprach mit ihm, ließ ihn fühlen, dass ich da war und bat ihn, dass er auf mich aufpasst.

2

Ist der schön vor mir… Da war wieder ein Gruß von Joya…

5

Wir kamen völlig problemlos am Platz an, ich steuerte Nacariño einfach weiter. Und er ging. Nach einigen Metern war er allerdings verblüfft und versuchte, sich zu mir umzudrehen. Ich war sehr wachsam da hinten und vorsichtig mit dem Maß meiner Einwirkung, schob ihn aber doch wieder los und er ging.
Ich bin ja auch mal wieder irre. Mache Langen Zügel mit einem Pferd, das überhaupt nicht zur Hand zieht, keine Ahnung von ordentlicher Anlehnung hat und sich gegen Menschen zur Wehr zu setzen weiß. Mut und Leichtsinn liegen eben doch dicht beisammen. Bei mir allemal.

Aber so ein unerklärliches Gottvertrauen und eine gewisse Unverfrorenheit haben ja auch was für sich. Nacariño ließ sich auf das neue Spiel ein und ging einfach so außen herum. An Nachbars Garten vorbei, als täte er nie was anderes. Ich sprach mit ihm, er suchte Zügelkontakt (er suchte Zügelkontakt!!). Er zog nicht ein einziges Mal in der ihm bekannten Art dagegen, war mir (wie erwartet) eher zu leicht. Hier aber war ich in einer Position, aus der heraus er lässig hätte abhauen können. Aber warum sollte er…?

Nach zwei Runden strahlte ich über das ganze Gesicht – ich fühlte mich wohl, er auch, er war so schön vor mir, ich ließ ihn einfach gehen und ging mit. Ich lenkte noch keine Wendungen, aber am Ausgang konnte ich jedes Mal problemlos vorbeilenken und ihn weiter treiben, wenn er zögerte. Das fühlte sich an, als würde das unser Ding werden… Hier kann ich mir ihn auch viel besser vorstellen als Dón, also weiß ich schon, wer im Tandem vorne geht! 🙂

1

Ich überlegte hin und her, ob ich ihn antreiben sollte für einen Trab, zögerte aber. Er bot es nicht an. Und dann fiel mir ein, dass ich ja den vor mir habe, dem man die Dinge einfach nur erklären muss, und so sagte ich „Du sagst Bescheid, wenn Du traben kannst, ok?“. Er überlegte, ging in sich, fasste einen Entschluss und trabte zehn Meter später einfach so von selbst an. Ich muss darauf vertrauen, es funktioniert immer wieder…

Ich lobte wie verrückt und durfte den nächsten Trab anfordern. Da allerdings zog er mich schnurstracks auf die Diagonale und zog an. Ich sah zu, dass ich den Zügel rausgleiten ließ und hinterherkam, um ihn nicht zu halten. 

4

Er wurde wieder ruhiger, parierte durch und ich lobte und kuschelte und streichelte und fand ihn toll, bis er wieder ganz „da“ war. Und dann durfte ich wieder losgehen, bekam aber wieder so einen überflotten Trab über die Diagonale, auf die/den ich keinen Einfluss hatte. Wieder parieren, loben, freuen, herunterfahren, mutig machen.

3

Dritter Trab besser und ich durfte so früh durchparieren, dass er gar nicht erst den Hufschlag verließ. Und dann bat ich ihn, einmal ganz langsam zu traben. Und da hatte ich’s. Er trabte ganz langsam, ich lobte wie verrückt. Und das machte ihn mutig, er fing an, im Trab zuzuhören und so bekam ich schließlich etliche Meter Trab, die ich gut mitgehen konnte und in denen er am Hufschlag bleiben konnte.

9

Und bevor ich noch ernsthaft an Galopp denken konnte (ich kenn mich doch…) fiel ich ihm um den Hals, küsste ich ihn, freute mich und war so, so glücklich.

8

Wir alberten noch ein bisschen rum – Potential ist da, keine Frage. Muss nur noch steuerbar werden… 🙂

7

6

Er bekommt ein anderes Gesicht.
Jetzt bekommt er langsam sein Gesicht…

10

Silbermond (bzw. Joel Brandenstein) haben die richtigen Worte gefunden:

Ich bin verloren in deiner Mitte,
machst mich zum Kämpfer ohne Visier.
Alles gedreht, die Sinne wie benebelt,
ich bin so heillos betrunken von Dir.
Du wärmst mich auf mit Deinem Wesen
und lässt nicht einen Zentimeter unverschont;
Du flutest alle meine Decks mit Hoffnung
auf ein echtes Leben vor dem Tod.

Ja, ich atme Dich,
ja, ich brenn‘ für Dich,
ja, ich leb‘ für Dich – jeden Tag!
Und ja, Du spiegelst mich,
und ja, ich schwör‘ auf Dich
und jede meiner
Fasern sagt Ja!

Es ist noch immer so schwer zu glauben
wie Du die meisten meiner Fehler übersiehst.
Du erdest jeden meiner Gedanken;
verleihst Flügel, wenn Zweifel überwiegt.

Und ja, ich atme Dich,
ja, ich brenn‘ für Dich,
und ja, ich leb‘ für Dich – jeden Tag!
Und ja, Du spiegelst mich,
und ja, ich schwör‘ auf Dich
und jede meiner
Fasern sagt Ja!

Ja zu jedem Tag mit Dir,
ja zu jedem Deiner „Fehler“,
Asche und Gold, ich trag‘ alles mit Dir.
Denn ich bin und bleib verloren in Deiner Mitte,
in Deiner Mitte bis der Vorhang fällt.

Und ja, ich atme Dich,
ja, ich brenn‘ für Dich,
und ja, ich leb‘ für Dich – jeden Tag!
Und ja, Du spiegelst mich,
und ja, ich schwör‘ auf Dich
und jede meiner
Fasern sagt Ja!

Jede meiner Fasern sagt ja…

11

Dienstag, 27.10.

Ich nahm Nacariños Decke ab und legte sie über seine Boxentür. Dann putzte ich, stellte ihn danach aber noch einmal zurück in die Box. Bevor er reinging, nahm er die Decke ins Maul, zog sie von der Tür und ließ sie direkt im Eingang zur Box fallen.
Ich stand schon in der Box und sagte „Entweder steigst Du da jetzt drüber oder räumst sie wieder weg. Deine Entscheidung“. Er wollte rückwärts. Nee, vergiss es! Er wollte seitwärts. Vergiss auch das! Du hast die Decke da hingeschmissen, nicht ich!
Er überlegte. Und dann setzte er unglaublich vorsichtig einen Huf auf die Decke und probierte aus, ob man darauf stehen kann. Gott, war das süß! Er setzte den zweiten Huf drauf – und ging über die Decke in die Box.
Der lernt apportieren…
Über der Box hängen lassen kann ich jedenfalls nichts!

Ich ritt ihn und durfte sofort im Schritt an der kurzen Seite vorbei. Er war nervös wie üblich – obwohl, nein, nicht wie üblich, nicht mehr so schlimm wie es schon war. Aber er klapperte mit den Zähnen und war angespannt und höchst aufmerksam. Aber ich durfte die Gangart und die Richtung bestimmen, und das darf ich sonst in den ersten zehn Minuten nicht unbedingt! Er soll unbedingt lernen, dass am Anfang Schritt gegangen wird. Auch wenn man gerade aus der Box kommt, ohne vorher draußen gewesen zu sein, und auch, wenn alle anderen schon raus durften, und auch, wenn man unter Strom ist. Und darauf lässt er sich so langsam ein.

Und dann bekam ich tatsächlich unser erstes wirklich spür- und reitbares Schulterherein! Er reagierte super auf die Gewichtsverlagerung und ging fast eine ganze lange Seite leichtfüßig und sicher seitwärts. Ich konnte mein Glück kaum fassen, lobte wie verrückt und fragte an der nächsten langen Seite nochmal. Und da fing er an, nachzudenken. Das hätte er mal lassen sollen. Einfach führen lassen… Es wurde lange nicht so schön wie das erste Mal, ich bekam aber auf beiden Händen wirklich gute Ansätze. Sprich: ich durfte treiben! Und ich durfte anfassen!

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Das (anfassen und treiben) durfte ich dann auch im Trab, ich durfte so viel Form vorgeben wie noch nie, im Galopp bekam ich ein echtes Dehnungsangebot, und Nacariño bestimmte weder, wo er antrabt oder angaloppiert, noch wo er stehen bleibt. Ich kam zum ersten Mal zum Reiten. Auch wenn die Duchlässigkeit noch mangelhaft ist, dieses massive Gegenziehen, das er ja leider kann, machte er auch nicht. Das war richtig, richtig gut! Da tut sich was. Er ließ sich viel mehr auf mich ein als bisher. Super!

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Und dann ritt ich auf das Podest zu. Ich hatte ihn vorher einmal raufgestellt, das ging problemlos (er sah das jetzt zum zweiten? dritten? Mal…). Aber als ich oben saß, fand er es dann doch komisch und mehr als einen Vorderhuf bekam ich nicht drauf. Er stieg sogar einmal halbherzig, was ich unkommentiert ließ, denn irgendwann will ich das Steigen ja mal haben, jetzt musste ich es nur umlenken in etwas anderes. Das Gefühl beim Steigen war aber gut, er weiß, was er da tut, das wird kein Problem, das unter dem Reiter sicher abzurufen. Er soll nur jetzt noch nicht wissen, dass er das mal darf, das würde er jetzt noch zu sehr gegen mich verwenden können. Später!

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Ich saß also ab und stellte ihn so noch einmal drauf. Das klappte sofort.

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Und dann wollte ich mich dazu stellen – hui! Da legte er aber den Rückwärtsgang ein! Das war ihm nicht geheuer. Nach kurzer Überredung war aber auch das kein Problem mehr.

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Meike erzählte, dass er, als sie die Pferde von der Weide holte, selbständig auf den Platz ging (sie hatte ihn losgelassen, um das Tor zu schließen, und da sie zwei Pferde an der Hand hatte war eines – er – gerade irgendwie zu viel) und sich von selbst auf das Podest stellte. Der Tolle! Und ich hatte das nicht gesehen!!

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Mittwoch, 28.10.

Ich ritt wieder – bevor das schlechte Wetter kommt (und der Winter…) möchte ich reiterlich so viel Routine und Entspannung wie möglich absichern. Das Kaiser-Wetter im Moment macht mich so reitsüchtig, wie ich lange nicht mehr war. Diese tollen jungen Pferde…!

Ich ritt gleich am Anfang auf das Podest zu. Und er ging sofort hoch und stand da drei Minuten und genoss die Sonne. Haken dran! 🙂

1 . . 2

Schulterherein klappte tatsächlich auf beiden Händen sehr lässig, nachdem ich zu Nacariño sagte „Nicht denken, nur führen lassen. Gib Dich hin.“ Und das tat er.
Was mich natürlich in Versuchung führte, das im Trab zu probieren, das wurde allerdings bei Weitem nicht so lässig 🙂

Ich durfte wieder anfassen, treiben, formen, dehnen (da geht noch eine ganze Menge, aber es kommt). Ich fragte schließlich in der Schlangenlinie Trab/Schritt-Übergänge an, die teilweise unglaublich leicht gingen und gefühlt nur über den Sitz. Nur über das Öffnen und Schließen von Oberschenkel und Knie und das An- und Abspannen des Hinterns. Nacariño stellte die Hand nicht in Frage, rundete sich und trat phasenweise schon spürbar an die Hand heran. Ich nahm ein erstes Rückwärtsrichten dazu, konnte an der kurzen Seite an Nachbars Garten halten (überhaupt kein Problem – war hier mal was??) und Nacariño musste nicht ein einziges Mal stehen bleiben, was er sonst ja immer noch genutzt hat. Heute fragte er das zum ersten Mal nicht an. Und ich hatte wieder vollen Einfluss auf Richtung und Gangart.

Zum Abschluss spielten wir natürlich noch einmal mit dem Podest.

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Schließlich konnte ich Nacariño sogar alleine darauf stehen lassen. Fàscino, der mal wieder frei auf dem Hof herum lief, kam, um sich ein Leckerlie abzuholen. Und wurde gleich mit einbezogen. Hoffentlich hat Nacariño gut aufgepasst, was Fàsci da macht!

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Er ist keine acht Wochen hier. Und jetzt fängt seine Mauer so richtig an zu bröckeln…

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Donnerstag, 29.10.

In den letzten Tagen ist so viel passiert, Nacariño ist so toll, ich wollte mal keine neue Anforderung stellen und Ruhe und Entspannung absichern. Beim Fertigmachen dachte ich also an einen ruhige „Jungpferde-Ritt“ ohne Seitengänge, alles eher etwas untertourig vom Anspruch her, Nacariño wieder das Gefühl geben, dass alles leicht ist und er alles kann.

Als ich dann drauf saß ging ich direkt am hingegebenen Zügel die Hofrunde, er guckte viel, ging aber ohne zu Zögern den vertrauten Weg mit einem enorm fleißigen Schritt. Das fühlte sich echt toll an. Ich kam am neuen Stall vorbei, beide Tore waren offen, und so wollte ich durch die Stallgasse reiten. Nacariño blieb stehen, prustete und fragte mich, ob ich das ernst meine, dass er da durchgehen soll? Und ich fragte zurück, ob er das ernst meint, das in Frage zu stellen. Ich musste – und ich durfte! – energischer treiben und schließlich ging er schnorchelnd und schwankend in die Stallgasse. Navarre und Flamenco guckten aus den Boxen, er begrüßte Flamenco ausgiebig und dann wollte ich weiter, am anderen Ende wieder raus. Das ist das Ende mit dem Waschplatz und dem Schotter, also die Ecke, die ihm sowieso nicht geheuer ist. Er versuchte wieder, sich zu weigern und ich ließ ihn hampeln, wich aber keinen Zentimeter von meinem Vorhaben ab. Das drang schließlich zu ihm durch und er drohte, mit einem mächtigen Satz auf den Schotter zu springen. Mach ruhig, dachte ich, Hauptsache, Du kommst da draußen an. Er setzte an – und machte einen ganz weichen Sprung nach draußen. Das war irgendwie so eine Mischung aus Schritt und Sprung, fühlte sich total gut an (sollte er doch springen können? Muss ich demnächst unbedingt ausprobieren!). Danach schnorchelte er mächtig den Waschplatz an. Da drehte ich um und ritt direkt anders rum noch einmal durch die Stallgasse. Er schnorchelte und prustete durch den Stall. Ich drehte wieder um, noch einmal von vorn das Ganze. Bei Runde drei betrat er lässig den Stall und ging am anderen Ende ebenso lässig wieder raus. Nu, wer saaaachts denn…!

Ich ging auf den Platz. Wie war das? Ganz lässig ohne neue Anforderungen? UUPS, zu spät… Hihi.
Ich ritt direkt zur kurzen Seite, kein Problem, Nacariño fühlte sich entspannt an. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war eine Familie an einem Auto zugange. Das musste er sich genauer ansehen! Ich ließ ihn stehen und gucken, bis er das für langweilig hielt und von selbst wieder antrat. Also auch kein Grund für einen Schreck.
Nun war mir nach nur Schritt reiten. Warum nicht mal ohne Trab und Galopp, einfach nur schön Schritt reiten. War das nun flexibel oder unschlüssig? Flexibel, finde ich!

Nach (entspannter) Runde zwei oder drei war mir dann nach Gelände. Nacariño fühlte sich an, als würde er heute einfach alles mitmachen. So weit wollte ich es ja gar nicht kommen lassen, aber dennoch – raus!

Ich ging die Strecke, die wir am Sonntag zu viert gegangen waren. Nun aber alleine. So weit waren wir alleine noch nicht vom Hof weg gewesen. Ich ging nur nicht in den Weg, der ihn zum Rennen hätte verlocken können, daran ging ich vorbei, also noch ein unbekanntes Stück Weg entlang.

Nacariño war einfach nur großartig. Ich ließ ihn eine ganze Strecke auf Asphalt traben, er bestaunte einen Mann, der Laub harkte, zuckte mal hier und mal da, aber nicht doll, alles in allem fühlte er sich zum ersten Mal überhaupt an wie ein normales, unbedarftes junges Pferd. Die Mauer bröckelt sichtlich…!

Ich hoffte, dass die AKN nicht gerade jetzt kommen würde. An der müssen wir ein ziemliches Stück sehr dicht entlang reiten. Sie kam dann doch – aber erst auf dem Rückweg und so, dass wir schon ein paar Meter entfernt waren. Und Nacariño guckte nicht mal wirklich hin. Ebenso wenig interessierte ihn eine wahrlich riesige Landmaschine, die da angedonnert kam. Fahrzeuge sind wirklich nicht sein Problem!

Auf dem Rückweg galoppierte ich dann sogar einmal an – es war spürbar, dass jetzt einfach alles gehen würde. Er galoppierte entspannt und gleichmäßig und parierte von selbst wieder durch, der Übergang vom Trab zum Schritt hatte allerdings einen deutlich längeren Bremsweg. War mir egal, ich wollte nicht anfassen, er sollte auf Stimmt zurück kommen und das tat er dann auch schließlich.

Wieder im Stall schien er wirklich stolz zu sein. Zumindest war er ganz schön aufgedreht und albern. Und ich nur glücklich.
Ich brachte ihn auf die Weide und ging etwas schwungvoll die Rampe vom Stall runter. Er trabte neben mir an, schüttelte den Kopf, war höchst albern und spielbereit. Hmm, das musste sich doch provozieren lassen…? Ich hüpfte neben ihm los – und er sprang mit. Ich lobte, wuschelte in seinem Schopf rum, sprang wieder los – er mit. Das machte ich bis zur Weide noch vier, fünf Mal, er spielte mit, wurde aber jedes Mal ruhiger und entspannter.

Ich glaube, wenn ich auf die Situationen aufpasse, wird er mir a) nie mehr beim Führen abhauen müssen und b) beim Reiten ebenfalls keinen Grund mehr zum Abhauen haben.

Ich kann gerade wirklich kaum beschreiben, wie glücklich mich diese beiden jungen Pferde machen. Vielleicht wird dies rückblickend irgendwann zur glücklichsten Zeit meines Lebens gehören. Es fühlt sich an, als wäre mehr einfach nicht möglich.

Und damit an dieser Stelle mal ein Plädoyer für Flexibilität! Seit Jahren kann ich nicht mehr enttäuscht oder verärgert oder frustriert vom Pferd steigen. Weil ich, auch wenn ich mir etwas vornehmen sollte, das sofort zurückstecken kann, wenn das Pferd ein anderes Angebot macht. Weil es ein so viel besseres Gefühl ist, Angebote des Pferdes anzunehmen (sie überhaupt zu bekommen!) als eigene um- oder gar durchzusetzen. Weil ich so unendlich viele Möglichkeiten habe (und meine Phantasie mir nicht im Wege steht dadurch, dass ich keine habe. Falls der Satz schwer verständlich ist, noch mal anders formuliert: ich habe Phantasie, und zwar ne Menge, und das hilft mir, flexibel zu sein, weil mir immer irgendwas einfällt und ich nicht durch Engstirnigkeit oder Einfallslosigkeit eingeschränkt bin) und sie nutze. Meine Pferde können einfach nichts falsch machen. Sie können etwas nicht machen, aber das, was sie machen, kann nicht falsch sein. Es kann sein, dass ich das in dem Moment nicht wollte oder dass ich etwas anderes wollte. Ja, dann muss ich halt sehen, wie ich ihnen meinen Wunsch vermitteln kann oder sie dazu motivieren kann, das auch zu wollen, was ich will.
Ein sehr guter Satz aus dem Horsemanship (das ich in seinen hierzulande bekannten Spielarten nicht praktiziere, aber die „Urfassung“ davon lebe ich ganz sicher): „Wenn Dein Pferd nicht das tut, was Du willst, dann hast Du die falsche Frage gestellt oder die Frage falsch gestellt“. Da ist was dran. Schlimmer noch sind ja die, die das Pferd gar nicht fragen. Ich frage meine Pferde. Dauernd. Und ich bekomme Antworten. Und daraus mache ich etwas. Und weil sie sich so einbringen dürfen und sollen und ich genau das toll finde (man kann übrigens lernen, das toll zu finden!), kann ich nicht mehr frustriert und enttäuscht sein. Ich liebe sie und zeige es ihnen – und sie lieben mich und zeigen es mir.
Mehr geht nicht.
Ein traumhaftes Leben.
Ein gelebter Traum.

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Samstag, 31.10.

Offiziell wäre dies Nacariños letzter Tag bei mir gewesen. Er schien sich nicht so ganz sicher zu sein, ob er nun wirklich hier bleiben darf und hat mal gezielt Verlängerung eingereicht. So (oft) abgehauen und gebuckelt ist/hat er nicht ein einziges Mal in den letzten acht Wochen!

Lag es an der einsetzenden Dämmerung? Bei so einem Licht und zu so einer Zeit hatte ich ihn noch nicht geritten. Oder daran, dass ich ihn, eben weil das Licht langsam schwand, etwas kurz und zackig fertig machte, ohne mich lange mit putzen und rumtüddeln aufzuhalten? Oder daran, dass er beim Fertigmachen alleine im Stall war, weil Casall noch draußen war und ich Dón gerade nochmal auf die Weide gebracht hatte?

Wie dem auch sei, Nacariño war hochgradig aufgekratzt. Er hat mich aber nicht gewarnt, dass ich mich nicht raufsetzen soll. Also habe ich mich raufgesetzt.

Auf der Soll-Seite ist zu vermerken, dass der Sattel, jetzt wo der Rücken sich verändert, tatsächlich rutscht. Verdammt! Das merke ich so seit zwei, drei Tagen, erst war es eine Vermutung, jetzt wird es aber leider deutlich. Der Sattel ist unfassbar bequem und sicher und ich wüsste im Moment gar nicht, wonach ich suchen sollte, da ich überhaupt nicht einschätzen kann, in welche Richtung sein Rücken gehen wird.
Auch auf der Soll-Seite: dass er so ein Abhauen überhaupt noch glaubt, zu brauchen.
Naja, acht Wochen, ich wieder mit meinem Anspruch… 🙂

Auf der Haben-Seite jedoch: kein Adrenalin mehr (wie langweilig!), ich lachte, rechnete nicht im Ernst damit, runterzufliegen (vor vier Wochen wäre ich dabei noch weg gewesen, aber…:), ich kam durch den Hals durch, ich kam am Maul an, ich durfte lenken, und sein ganzer Körper war so viel geschmeidiger, dass er mich mitnahm und nicht durch eckige, kantige Bewegungen, die es mal waren, abgeschossen hat. Das Gefühl war es wert!

Sönke war da. Und hob die Kamera. Er filmte. Cool! Nach dem ersten Davonschießen und Buckeln guckte ich zu ihm rüber – als ich wieder wagte, einen Teil Konzentration etwas anderem als Nacariño zuzuwenden – und fragte „Hast Du das drauf?“ Sönke guckte etwas bedröppelt und meinte „Nö. Ich dachte, da passiert nix mehr.“

Es passierte auch nichts mehr – zumindest nicht in Sönkes Gegenwart. Nacariño war albern und wollte rennen und die Servolenkung funktionierte nicht, die Bremse auch nicht, aber schlimm war das alles irgendwie nicht. Sönke fuhr also los, wollte noch einkaufen. Kaum klappte seine Autotür, legte Nacariño wieder los. Der lässt sich dabei nicht fotografieren oder filmen! Ich habe ja nun wirklich so gut wie immer die Kamera dabei. Aber nicht immer jemanden, der auch den Finger draufhält. Wird er fotografiert, ist er ein Lamm (im Rahmen seiner Möglichkeiten). Er nutzt aber offenbar die Momente, in denen keine Kamera auf ihn gerichtet ist. Hauptsache, ich habe kein Beweismaterial, oder wie?? Der Schelm! 

Er rannte noch etliche Male los. Und dann klöterte ein Lkw. Und da war ich meinem Körper wieder einmal so unendlich dankbar für diese irrsinnig schnelle Reaktionszeit, die ich auf dem Pferd habe (so im Leben hätte ich die manchmal auch gerne). Ich wollte gerade aus Reflex in den Zügel fassen, als er durchstartete, weil er sich ja eben noch hatte lenken und anfassen lassen; in derselben Zehntelsekunde fiel mir aber ein, dass Jessicas Unfälle beide im Zusammenhang mit klappernden Lkw’s passiert waren – und noch bevor ich klar denken konnte hatten meine Hände losgelassen. Ich lachte, klopfte ihn – und der Speed war raus. Puh…

Und dann ließ ich galoppieren. Immer wieder. Er fing an zu schwitzen und hisste so langsam aber sicher die weiße Fahne. Aber ich kam zum Treiben und zum Reiten und zum Lenken, er zuckte hier und da nochmal, aber das schlimmste war offensichtlich vorbei.

Also wurde ich leichtsinnig. War ja nun wirklich nicht schlimm. Rutschender Sattel, buckelndes, abhauendes Pferd, langsam von Dunkelheit umgeben – Peanuts.
Man muss sich ja nun auch nicht anstellen.

Ich verließ den Platz und ging auf die große Wiese. Einmal im Schritt außen rum war die Idee. Also meine Idee. Ein bisschen unheimlich war das nun aber wirklich. Es war fast dunkel, die Geräuschen klangen anders – war schon spannend. Aber irgendwie auch toll. Und ich war sehr dankbar, beim letzten Mal bewusst nicht galoppiert zu sein. Nacariño war zwar nicht wirklich entspannt, aber gehorsam. Er ging brav eine große Schrittrunde.

Na, und wo wir schon so schön dabei waren und er ja eh noch ein bisschen trocknen musste, hängte ich die Hofrunde gleich noch dran. Fàscino, der mal wieder Freigang auf dem Hof hatte, kam mit. Und da nun entspannte sich Nacariño wirklich. Es war fast dunkel, aber die Runde war für ihn in Ordnung. Auch hier waren die Geräusche ganz anders – witzig, was Licht doch ausmacht. Die Eicheln knackten unter den Hufen, das Laub raschelte, Nacariño hielt brav an und beide bekamen ein Leckerlie, er konnte gut aushalten, dass Fàscino mitkam und ich konnte die Zügel immer länger lassen.

Wir kamen mit dem letzten Licht am Stall an, während Dón gerade auf der Weide wie ein Denkmal in einem roten Lichtstreifen stand und in die Ferne guckte – zu schön!

Ich war sehr gespannt auf den nächsten Ritt…

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