Die (etwas andere) Skala der Ausbildung

Die hierzulande bekannteste Ausbildungsskala ist sicherlich die der FN. Immer wieder gibt es Diskussionen darüber, ob diese noch zeitgemäß sei oder überhaupt in ihrer Art für das Pferd – für JEDES Pferd – gut anwendbar. Hierzu muss man sicherlich ein wenig tiefer blicken als auf die bloßen Begriffe in einer bestimmten Reihenfolge. Denn so ist es nicht gemeint, wenn auch die Reihenfolge insofern unglücklich gewählt ist, als das natürlich „Otto-Normal-Verbraucher“ denkt, er müsse sie auch in dieser Reihenfolge „abarbeiten“.

Frischen Wind bringen andere Reitweisen inzwischen hinein, die sich eigene Skalen erstellt haben. Nach der Reihenfolge der Begriffe gibt es nun auch Kreis- und Pyramidenformen, die schon einmal ganz anders die Idee einer Basis und eines Aufbaus bzw. eines Ineinanderübergreifens der Begriffe verdeutlichen.

Wer mal in einer Suchmaschine nach „Ausbildungsskala“ sucht und dann nach Bildern, wird einige verschiedene Varianten finden. Es lohnt sich, sich mit diesen Ideen auseinanderzusetzen!

Ich habe ja generell ein Problem mit jeglicher Schablonen-Presserei. Und leider ist die Skala der FN dazu geeignet, in Schablonenform zu denken, jedenfalls, wenn man nur die einzelnen Begriffe in ihrer Reihenfolge sieht. Tatsächlich wurde hier inzwischen aufgebessert, die Skala ist so zu verstehen:

Richtlinien 1

 

Dennoch bleibt der Takt an erster Stelle, die Losgelassenheit an zweiter, Geraderichtung und Versammlung am Ende. Kann das der richtige Weg sein?
Noch dazu für Pferde, die eben nicht dem typischen Sportpferd entsprechen?

Diese Frage muss erlaubt sein, insbesondere, wenn man häufiger mit Pferden zu tun hat, auf die letzteres zutrifft. Die von Natur aus eine große Störanfälligkeit im Takt mitbringen, die von Natur aus eine hohe Versammlungsbereitschaft mitbringen. Ist diesen Pferden nicht viel mehr geholfen (und werden sie nicht in ihrer Persönlichkeit viel weniger eingeschränkt), wenn ich ihre Vorzüge bis zu einem gewissen Grade annehme, um es ihnen dadurch leichter zu machen, ihre Schwächen nach und nach zu beheben?
Und eben nicht auf dem Takt „herumhacke“ und sie frustriere, oder ich ihnen über eine Anlehnung (3. Punkt) den Takt (1. Punkt) überhaupt erst ermögliche? Oder ich Pferden über einen gewissen Schwung (4. Punkt) überhaupt erst ermögliche, sich loszulassen (2. Punkt)? Fragen über Fragen…
🙂

Ach ja, und wo wir schon dabei sind – Gleichgewicht und Durchlässigkeit entstehen überhaupt erst beim „Abarbeiten“ dieser Punkte? Und wann sind sie erreicht? Wann sollten sie erreicht sein? Warum soll ich eine naturgegebene Schubkraft vor der nicht unbedingt naturgegebenen Tragkraft entwickeln? Was mache ich dann, wenn mir das Pferd einfach irgendwann davonschiebt? Schlimmstenfalls noch nicht im Gleichgewicht und noch nicht durchlässig? Abendfüllendes Thema…

Und so entstand im Theorieunterricht, in dem ich eben die Ausbildungsskala zum Thema gemacht hatte, durch rege Diskussion der „Equine Kreis“. Eben diesen möchte ich Ihnen hier gerne vorstellen. Ich habe Wert darauf gelegt, dass diese „runde Skala“ sowohl für das Shetlandpony wie auch für den Kaltblüter wie auch für den Iberer etc. etc. geeignet ist und nicht nur das – sie ist sowohl zum Reiten wie auch für die Arbeit am Boden geeignet.

Der Kreis ist drehbar, Sie können den Fokus jederzeit selbst wählen, sollten aber bemüht sein, nach und nach zu einem ausgewogenen Gleichgewicht unter den einzelnen Punkten zu kommen.
Die Begriffe im inneren Kreis bilden (unabhängig von ihrer Reihenfolge) die Basis – für alles.
Die Begriffe im mittleren Kreis sollten in der Ausbildung des Pferdes je nach Bedarf Beachtung finden und später weitgehend gleichmäßig vorhanden sein.
Daraus ergeben sich mehr oder weniger automatisch die Begriffe im äußeren Kreis:

18 Equiner Kreis

Wenn Ihnen dieser Kreis gefällt, dürfen Sie ihn sehr gerne ausdrucken und im Stall aufhängen. Sie können ihn so aufhängen, dass Sie jederzeit einen anderen Begriff aus dem mittleren Kreis nach oben zeigen lassen, wenn Sie spüren, dass hier Bedarf besteht.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie ausprobieren, mit diesem „Equinen Kreis“ zu arbeiten und mir per E-Mail Rückmeldung geben, wie sich dieser Kreis für Sie und Ihr Pferd anfühlt. Viel Spaß beim Ausprobieren!

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Die Erklärung der einzelnen Begriffe,
wie sie für die Arbeit mit dem „Equinen Kreis“ zu verstehen sind:

Respekt
Auf jemanden / etwas bzw. auf dessen Bedürfnisse Rücksicht nehmen
Etwas / jemanden achten, sich auf Augenhöhe begegnen (können)
Wikipedia: eine Form der Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung gegenüber einem anderen Lebewesen oder einer Institution. Eine Steigerung ist die Ehrfurcht
Gegenteil: Respektlosigkeit, Überheblichkeit, Arroganz, Unachtsamkeit, Verachtung

Vertrauen
Der Glaube, dass eine Forderung berechtigt bzw. eine Tat / Aussage korrekt ist
Sich auf etwas / jemanden verlassen (können)
Wikipedia: die subjektive Überzeugung (Glaube) von der Richtigkeit, Wahrheit bzw. Redlichkeit von Handlungen, Einsichten und Aussagen eines anderen oder von sich selbst (Selbstvertrauen). Hierzu gehört auch die Überzeugung der Möglichkeit von Handlungen und der Fähigkeit zu Handlungen
Gegenteil: Misstrauen, Zweifel, Skepsis, Verachtung

Gehorsam
Befehlsbefolgung, Forderungserfüllung. Dies kann auf freiwilliger oder erzwungener Basis geschehen – aus anfänglichem Unwillen kann jedoch auch der eigene Wille werden (-> Motivation).
Wikipedia: prinzipiell das Befolgen von Ge- oder Verboten. Das Wort leitet sich (ähnlich wie Gehorchen) von Gehör, horchen, hinhören ab und kann von einer rein äußerlichen Handlung bis zu einer inneren Haltung reichen.
Gehorsam bedeutet die Unterordnung unter den Willen einer Autorität, das Befolgen eines Befehls, die Erfüllung einer Forderung oder das Unterlassen von etwas Verbotenem. Die Autorität ist meistens eine Person oder eine Gemeinschaft, kann aber auch eine überzeugende Idee, ein Gott oder das eigene Gewissen sein
Gegenteil: Ungehorsam, Widerwille, Missachtung der Forderung, Widersetzlichkeit

Energie
Neben einer physikalischen Größe auch die Fähigkeit, eine Arbeit auszuführen
Lust und Freude an Bewegung, der eigene Wille, sich (ausdrucksvoll) zu bewegen die Fähigkeit, mit Spannung zielführend umzugehen bzw. diese zielführend zu verändern
Wikipedia: Enerige ist nötig, um einen Körper zu beschleunigen oder um ihn entgegen einer Kraft zu bewegen
Gegenteil: Mattigkeit, Lustlosigkeit, Phlegma, Apathie, Spannungslosigkeit

Dynamik
Durch die Wirkung von Kräften wird ein vorwärts erzeugt
Die (angeborene und / oder antrainierte) Fähigkeit zu großen, raumgreifenden, kraftvollen und freien Bewegungsabläufen
Gegenteil: flache, “am Boden klebende”, gebundene Bewegungen, Mattigkeit

Anlehnung
Die Verbindung zwischen Hinterhand, Pferderücken, Reiterhand und Pferdemaul (nicht nur) über den Zügel
Die elastische, veränderbare Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul (über den Zügel)
Die elastische Verbindung zwischen dem Körper des Reiters und dem des Pferdes, von der Hinterhand ausgehend nach vorne und seitlich (Rahmen)
Zwischen den Gehirnen (über innere Bilder) = mentale Anlehnung
Gegenteil: keine Verbindung, auseinander fallen (lassen), aus einer ungleichen oder gar störenden Anlehnung können Taktfehler entstehen bis hin zur „Zügellahmheit“

Halt geben
Über die elastische Verbindung zwischen dem Körper des Reiters und dem des Pferdes, von der Hinterhand ausgehend nach vorne und seitlich (Schenkel, Zügel, geschickte Gewichtsverlagerung) wird dem Pferd Halt gegeben, es kann ins Gleichgewicht gebracht werden
Gegenteil: auseinander fallen lassen, aus dem Gleichgewicht bringen, evtl. schwankend / schleudernd, die Begünstigung von Taktfehlern

Rahmen
Das Einrahmen des Pferdes drückt sich aus in einem “Zusammengehören” bzw. “Verschmelzen” der Körper von Reiter und Pferd, von der Hinterhand ausgehend nach vorne und seitlich (durch Schenkel, Zügel und geschickte Gewichtsverlagerung)
Für den Betrachter ergibt sich ein in sich stimmiges, zusammengehörendes Bild
Gegenteil: auseinander gefallen, lose, evtl. schwankend / schleudernd, evtl. taktunrein

Beweglichkeit
Die Fähigkeit, je nach Anforderung alle Gelenke zu beugen, alle Muskeln an- und abzuspannen, den Körper zusammenzuziehen und zu dehnen / strecken
Gegenteil: Steifheit, Taktunreinheiten / Lahmheit, sich “einlaufen” müssen

Elastizität
Muskeln und Gewebe sind dehnbar, ein durch-den-Körper-schwingen ist möglich, der Gang wirkt frei und ungebunden, alle Gelenke sind frei beweglich
Gegenteil: gebundene Gänge, Schwunglosigkeit, Festigkeit, Unnachgiebigkeit

Biegsamkeit
Die Fähigkeit, insbesondere Hals und Wirbelsäule weitmöglichst zu beugen / biegen
Gegenteil: unbiegsam, fest, verwerfen (im Genick), sich der Biegung entziehen

Reaktionsschnelle
Die Fähigkeit, sich einer Situation schnell anzupassen und auf Veränderungen schnell und angepasst reagieren zu können
Der Reiter sollte versucht sein, über die Ausbildung die Reaktionsschnelle auf die eigenen Wünsche / Hilfen umzuleiten und instinktgegebene Reaktionen (z. B. Flucht) weitmöglichst in den Hintergrund treten zu lassen (-> Gehorsam)
Gegenteil: Langsamkeit, “Sturheit”, Apathie, Starre (Angst)

Die Begriffe werden nach und nach ergänzt!

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