Eutin gibt es nur in zwei Varianten: irre heiß oder abgesoffen. Dieses Jahr bekamen wir Letzteres: Dauerregen, 13° C und Wind.
Diese kalte Nässe! Es glitschte alles durch die Finger, wir brauchten gefühlt halb so lange wie es dann tatsächlich wurde. Ich war leicht erschüttert, als wir unten ankamen und die einzigen beiden anwesenden Starter gerade gesiegerehrt werden sollten. STOP!
Das wurde ein Kaltstart. Joya fielen angesichts der im Stroh spielenden Kinder fast die Augen aus dem Kopf. Er hatte, unroutiniert, wie er ja nun noch war, schlicht keine Zeit, sich mit der Atmosphäre vertraut zu machen. Trotzdem ging er seine Kür fehlerlos und absolut super passend zur Musik, aber eben deutlich ohne Rücken, was sich sehr auf unsere Schritt-Tour auswirkte. Besonders dankbar war ich ihm für die gelungene Galopp-Tour: ohne vorher an diesem Tag schon einmal galoppiert zu sein, hielt er die Außengalopp-Schlangenlinien und die Traversalen super durch und sprang herrliche Wechsel – bisschen arg dynamisch vielleicht…
Joya wurde Vierter in der Kür.
Wir konnten kurz durchatmen am Hänger, es war etwas Zeit bis zur Offenen Kür. Ich war in den Tagen vor dem Turnier immer unschlüssiger geworden, was ich zeigen sollte – Garrocha? Da zog er immer schlechter. Freihändig? Artig, aber noch viel zu ungenau. Genügt meinem (zugegeben hohen) Anspruch noch längst nicht. Arbeit an der Hand? Halsring?? Ich war ratlos. Alles noch nicht so, dass es meinem Anspruch genügt hätte. Nahm ich also in milder Verzweiflung die Garrocha mal mit…
Das Umziehen dauerte!!! Es glitschte alles, inzwischen gab es original nichts mehr, was noch trocken war – insbesondere unsere Finger konnten nichts mehr halten. Der Spaß ließ da echt mal ein bisschen nach, das wurde echt stressig.
Ich hatte zum ersten Mal nur ein einziges durchlaufendes Lied mit, keine auf die Gangarten abgetimmte Kür. Das geht bei Garrocha ja noch – hier ist „Un Amor“ von den Gipsy Kings erste Wahl, weil das Lied in sich perfekte Schritt- und Galoppphasen hat. Schritt allerdings ganz schön lange… Aber einfach nur spanisch-schön. Ich musste meine Choreographie auch nicht ändern. Ich hatte keine.
Und so wagte ich mal wieder eine meiner typischen Spontan-Aktionen: anderer Sattel, anderes Gebiss, so in dieser Form mit Garrocha natürlich noch nie probiert, aber Hauptsache, nicht die Sachen, mit denen er zu Hause nicht mehr zog. Zu diesen meinen „Blitz-Eingebungen“ habe ich inzwischen ein sehr großes Vertrauen 🙂
Ich musste bei der wieder kurz bemessenen Abreitezeit – hier wurden Prüfungen jetzt vorgezogen, weil kaum einer da war, man bekam es bloß nicht mit… – meinem zarten Schimmelchen Beine machen, der immer meinte, aus dem Regen raus zu wollen, weil er sich sonst – bestimmt! – auflösen würde. Tat er zu seiner eigenen Überraschung aber nicht.
Und dann durften wir ins Viereck und die Kür begann. „Das war Spaß, Lebensfreude, Leichtigkeit“ fand ein Zuschauer – oh, so schön? Ich kämpfte – der Hut drohte ständig wegzufliegen, die Zügel glitschten durch die Finger, die Garrocha fühlte sich an wie mit Moos überzogen, auf Joya konnte ich mich da nicht auch noch konzentrieren. Ich hörte, dass die Zuschauer anfingen zu klatschen während des Rittes und Joya zog tatsächlich recht gut und schien Spaß an der Sache zu haben, aber es war anstrengend – halt mal mit 2 Händen 3 Sachen fest – Hut, Garrocha, Zügel… Die letzte Galoppdrehung unter der Garrocha und der Schlussgruß erfolgten am durchhängenden Zügel, aber auf den Punkt zur Musik. Sehr geil. Ich konnte mich noch nicht so recht freuen, ich war echt alle. Aber ganz offensichtlich musste das gut gewesen sein.
Nach ein paar Momenten Luft holen und den Süßen ausgiebigst loben drängte sich die Hoffnung auf den Sieg ins regennasse Hirn…
Und tatsächlich! Ja!
NEUN KOMMA NULL!!!
Haha, lach, kicher, freu, grins…
Bei der Siegerehrung war Richter Thieß Witt nur noch begeistert und erwähnte das Wort „Rücken“ auch gar nicht mehr 🙂
Ich habe in der Siegerehrung ein wenig Joyas Terre-á-Terre-Talent ausgenutzt, damit die anderen am Langen Zügel und zu Fuß hinterher kamen 🙂
Wir fuhren so feuchtfröhlich nach Hause, es war irgendwann alles nur noch urkomisch. Alles war nass, eklig, glitschig, kalt. Und wir haben nur noch gelacht.
Auf der Rückfahrt kam dann im Radio das „Negócio-Joya-Lied“ von Unheilig, „Geboren, um zu leben“.
Puuhh, das ging nochmal so richtig an die Nieren. Jedes Ende ist ein Neubeginn…
Die Tränen liefen – vor Trauer um Negócio, vor Freude über Joya, vor Dankbarkeit, dass alles so ist, wie es ist.
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