Samstag, 22. April

Wir mussten nicht ganz so früh los, ein frühmorgendliches Showhalle-Zeigen fiel nun ja weg. Nacariño machte mir die riesiege Freude, so gut wie noch nie selbständig auf den Hänger zu gehen. Das war echt großartig. Beide hatten mich mit strahlendem Blick und höchst unternehmungslustig begrüßt.

Ich nahm wieder Heu mit und füllte die Netze auf. Dóns Heunetz konnte ich an den Gitterstäben befestigen, so dass er beim Fressen auf die Stallgasse schauen konnte. Bei Nacariño ging das nicht, er musste sich zum Fressen von der Tür wegdrehen. Das war aber auch gar nicht so schlecht – er hatte zwar gestern binnen kürzester Zeit keinen Halm Stroh mehr auf dem Stück liegen, auf dem er sich immer hin und her drehte, aber das schob ich da immer wieder hin. Gut für ihn war, dass er sich entscheiden musste zwischen fressen und gucken. Das war für ihn ganz gut, auch wenn er das am ersten Tag noch nicht ganz so gelassen hinnehmen konnte. Heute ging er damit schon deutlich entspannter um.

Insgesamt schienen die Jungs richtig Spaß an dieser Unternehmung zu haben. Sie stratzen in die Stallgasse und ihn ihre Boxen und waren voller Tatendrang.

Heute war mein erstes Bild acht Minuten und das zweite fünf Minuten lang. Also das erste mit Reiten, das zweite nur am Boden. Ich überlegte hin und her, wann wie wo welches Pferd. Mit beiden wagte ich nicht, obwohl heute neben Christina auch Steffi da war. Christina war inzwischen meine rechte und linke Hand und Steffi erwies sich als super am Pferd, dennoch waren mir die Bilder einfach zu kurz, um zwischen den Pferden zu wechseln. Beide Bilder mit Nacariño? Dón hatte mittags den Extreme Trail. Aber der hatte ja nicht in dem Sinne etwas mit „Bewegung“ zu tun und viel Bewegung hatten sie hier durch die engen Boxen einfach nicht. Ich stellte gedanklich meine Schaubilder ständig um, musste nun aber langsam mal eine Entscheidung treffen.
Und so machte ich etwas, was zu Hause noch überhaupt keine Planungs-Option war – ich nahm Dón frei mit während des ersten Schaubildes. Witzigerweise ging er vorher auf dem Weg zur Abreitehalle auch wunderbar als Handpferd, und das ist sonst ja nun wirklich nicht seins neben Nacariño! Hier auf einmal war das überhaupt kein Problem – ich werde ihn zu Hause daran erinnern 🙂

Ich hatte so sehr Lust, Nacariño zu reiten und mit Dón am Boden etwas zu machen und so bot es sich an, die Bilder ähnlich wie gestern zu gestalten. Dadurch, dass Dón frei mitlief, wurde Nacariño allerdings dermaßen dynamisch, dass ich reichlich zu tun bekam.

  

Es war sooo toll, dass Dón immer wieder unsere Nähe suchte. Daraus muss sich doch etwas machen lassen…

Die Halle war rappelvoll, die Atmosphäre ganz anders als gestern, die Luft vibrierte, als der erste Applaus kam, war der viel lauter als gestern und die Pferde erschraken einmal richtig. Dón donnerte los und schüttelte sein prachtvolles Haar, Nacariño bekam auf einmal eine ungeahnte Bewegungsqualität, die nur nicht immer ganz leicht zu lenken war. Das kann passieren, wenn man dann Spanischen Trab anfragt:

Nacariño ließ sich aber noch zu einer wirklich schönen Trabverstärkung hinreißen – und ich mich daraufhin zu dem mit süffisantem Unterton hervorgebrachtem Satz „Jaja, Iberer haben keinen Mitteltrab… Dieser hier hat welchen. Und in zwei Jahren hat er einen starken Trab!“

Und Spanischen Trab bekam ich auch 🙂

Ich wurde rauskomplimentiert. Huch? Schon? Das war zu früh! So viel Zeitgefühl hatte ich hier nun inzwischen, das passte nicht! Ich hatte noch ein bisschen was vor, das konnte ich mal eben knicken. Ich saß schnell ab und griff mir Dón noch für ein kurzes freies Spiel.

Nacariño zog nun aber erst einmal die Show ab, und ich sagte, dass man sich zwei so schöne Pferde ja auch gut einfach so mal anschauen kann, ich kriege die schon irgendwann wieder. Das Publikum lachte und freute sich an dem Anblick der wehenden Mähnen.

Dón ließ sich sehr schnell einsammeln und zeigte auf schnelle Anfrage sofort Spanischen Schritt und Trab und Steigen und dann mussten wir auch raus.

Steffi hatte inzwischen Nacariño aufgehalftert, den zog es zum Ausgang, das war gut.
Wir tauschten die Pferde und spazierten zum Stall zurück. Mir saß noch ein bisschen die ungeheure Dynamik dieses Schaubildes in den Knochen, das hatte mich etwas überrascht. Die Atmosphäre war völlig anders als am Freitag. Wow. Ich war etwas kurzatmig.

Viel Zeit war nicht – aber genug, um beiden gebührend zu danken und ihnen eine kleine Portion von dem Müsli zu geben, das Renate und Mieke für die beiden gestern besorgt hatten. Wie lieb! Das wurde jetzt schön auf alle Pferde und alle Tage aufgeteilt und mit Hochgenuss gefressen.

Dón bekam das Knotenhalfter an und wir marschierten in Richtung Halle 8.

Und das, was nun kam, war kein Soft-Trail mehr. Wir hielten uns schließlich an nur einem einzigen Hindernis auf, dem Two-Step, aber die Atmosphäre in diesem Zelt mit lauten, warmen, riesigen Belüftungsrohren, Verkaufsständen, einer Unmenge Leute, und dann dem Wetter versetzte Dón phasenweise fast in Panik. Insbesondere, als ein Hagelschauer niederging, der erst das Zelt und dann Dón zum Beben brachte, als der Hagel an die Wände klatschte und unten am Rand das Wasser durchlief. Dón wusste überhaupt nicht, wohin mit sich. Ich hatte überhaupt kein Problem damit, sofort loszulassen, als Roger nach dem Seil griff 🙂

Noch dazu hatte ich beim ersten Kopfhochschlagen von Dón den gebrochenen (und nicht so formschön verheilten… Verheilten???) Finger so blöd gedreht, dass mir fast schlecht wurde. Ich war ganz froh, den mal eine Weile unauffällig anders halten zu können, bis ich wieder klar sehen konnte.

Das Ganze wurde super kommentiert, Roger und ich waren am Pferd, und was wir taten, wurde dem Publikum erklärt. Ich wurde immer wieder mal ans Mikro geholt und sie waren offenbar heilfroh, mal jemanden hier zu haben, der nicht mikrofonscheu war und auch noch in klaren Worten sprechen konnte, und so durfte ich erzählen, warum ich hier mitmache, wie diese Situation jetzt für mich ist, was ich für mich mitnehme und so.

Derweil wütete das Wetter um das Zelt herum und schien es aus den Angeln zu heben.
Ich hätte Dóns Angst mit dieser sich geradezu wütend bewegenden Zeltwand entschuldigt, die war nun wirklich furchteinflößend.
Roger sagte ganz zu Recht „Die Plane ist nicht wichtig“.
Stimmt.
Hätte das nicht eigentlich schon meine Feststellung sein sollen??

Er nahm Dón am Seil, stellte ihn mit Blick zur Zeltwand hin – und schlug urplötzlich mit der flachen Hand dagegen. Dón bekam fast einen Herzinfarkt. Roger machte weiter, bis Dón, gespannt wie ein Flitzebogen, in einer gewissen Distanz stehen blieb und das ansatzweise aushalten konnte.

Dann gab er mir das Seil und ich machte weiter. Wenn ich zu lasch gegen die Zeltwand schlug, knallte Roger halt nochmal den Panikhaken meines Strickes dagegen. Dón hielt das schließlich ganz schön gut aus. Roger grinste mich an und meinte, nachdem unsere Boklund-Aktion ja eher Soft-Trail gewesen war, „Das ist Extreme-Trail“ 🙂

Dón suchte sich etwas, um seinen Puls runterzufahren und stellte sich von sich aus mit den Vorderbeinen auf den Two-Step.

Da er das mit Blick zur Zeltwand machte, nahm ich das zum Anlass, einfach ohne Aufforderung durch Roger jetzt da weiterzumachen und ihn ganz drauf zu bitten.

Ich konnte hier jetzt einen sehr viel schnelleren Wechsel zwischen Spannung auf- und abbauen an mir selbst feststellen. Ich fühlte mich schon viel vertrauter mit all‘ dem als noch am 8. April, als wir in Boklund waren.

Roger beobachtete, ließ mich machen, und sagte, als es schließlich nicht so Recht weiterging, nun müsse ich etwas ändern. Ich wusste, dass es meine Position war, aber ich wusste nicht, wohin. Weiter nach hinten, aber dann wäre Dón der Zeltwand wieder ausgewichen. Die war aber ja nicht wichtig… Hmm, und nun?
Roger übernahm und machte weiter. Die Zeltwand wurde unwichtig.
Und Dón setzte sich in Bewegung.

Mich begeisterte der Moment, als Dón einmal für einen ganz kurzen Augenblick nur mit den Hinterbeinen auf dem „Podest“ stehen konnte, während die Vorderbeine schon auf dem Boden waren.

Das hatte er in Boklund noch überhaupt nicht angeboten, hier nun einmal ganz kurz. Das fand ich den tollsten Moment und das sagte ich auch. Hier wird einem sehr bewusst, in wie kleinen Schritten Dinge geschehen können und sollten.
Und er stand auch einen Moment länger mit allen Vieren drauf.

Mein Schlusswort gefiel Roger und Nicola offenbar ausgesprochen gut, denn ich machte richtig Werbung dafür, dass ich das hier für alle Reitweisen als eine solche Bereicherung ansehe und dass es sich mit allem kombinieren lässt. Ich sagte, dass mir vieles hier völlig neu ist, ich Elemente daraus aber auf jeden Fall in meine „Arbeit“ einbeziehen werde und ich das sehr, sehr wertvoll finde. Ich werde auch auf jeden Fall wieder nach Boklund fahren!

Roger passte Dón noch ein Bosal an, weil ich Nicola im Vorwege danach gefragt hatte – das wird meine nächste Anschaffung. Das wird mit Dón super gehen, da bin ich sicher.
Dón bekam eine Möhre und eine schön außergewöhnliche Schleife und wir warteten einen trockenen Moment ab, um zurück zum Stall zu gehen.

Das war für ihn eine Nummer gewesen, meine Güte! Er schien ganz froh zu sein, wieder in seine Box zu dürfen. Nacariño brüllte uns empört entgegen und ich ging einen Moment kuscheln. Nun war ohnehin etwas Zeit, das nächste Schaubild war um 16.20 Uhr und ich hörte etwas von Verzug.

Das war noch einmal ein Solo mit Dón, ich wollte wie gestern an der Hand anfangen und ihn dann frei lassen. Ich hoffte nur, wenigstens die vollen fünf Minuten zu bekommen.

Es waren im Zweifel eher sechs und es gehörte mit zu den schönsten Schaubildern, die ich je erlebt habe. Dón setzte sich ein Krönchen auf und war einfach nur fantastisch.
Da die Zeit so kurz war, hatte ich schon enorm „abgerüstet“ – keine Plane, kein Podest, keine kleine Flagge, nur die Stadionflagge. Und wir beide.

Er fing an der Hand super an mit tollem Spanischem Schritt, einigen Wahnsinns-Tritten Spanischen Trabes, die Atmosphäre beeindruckte ihn überhaupt nicht mehr, er scheute nicht, er war voll da, er hatte Lust und er war einfach nur unfassbar schön, mein herrliches silbernes Pferd.

Ich wollte Zeit genug haben für das freie Spiel und griff relativ schnell zur Stadionflagge, wickelte ihn ein und nahm darunter die Trense ab.

Hervor kam ein „nacktes“ Pferd und dann begann ein freies Spiel, wie es noch nie hatte mit ihm. Unter anderem schenkte er mit die ersten Galoppsprünge überhaupt – er galoppierte glaube ich fünf, sechs, sieben Sprünge neben mir her. Das war einfach nur gigantisch. Die Leute klatschten, ich hatte fast Tränen in den Augen. Wir begeisterten uns aneinander, es war nur großartig.

Die Zeit musste rum sein, aber sie komplimentierten mich nicht raus. Also machte ich weiter. Wir hatten pur Spaß miteinander.

Schließlich war es dann aber doch zu Ende, und das war auch gut so, ich hatte einfach keine Luft mehr. Dón schon 🙂


Diese beiden tollen Bilder – unsere allerersten freien Galoppsprünge! – hat Ana Springfeldt (springfeldtprofifoto.com) gemacht – tausend Dank dafür!


Und dieses Foto mit dem herrlichen Ausdruck in Dóns Gesicht stammt von Andreas Thomsen (foto-thomsen.de)

Ich ließ ihn frei neben mir rausgehen und führte ihn, nur den Zügel über dem Hals, zurück zum Stall. Durch die fremden Pferde, durch die fahrenden Autos – kein Problem.
Hier nun wurden wir nass, das einzige Mal zum Glück auf dieser Messe, aber der Weg zum Stall reichte, uns einmal ziemlich durchzuweichen. Ich trabte an, er trabte mit, dieser freie Pferdekopf neben mir in dem ganzen Getümmel, was für ein Gefühl. Wunderbarer Dón!!!

Ich war echt geflasht. Ich konnte es nicht glauben. Ich grinste im Kreis. Dón strahlte und war noch mal größer geworden, ich strahlte und schnappte nach Luft. Das war der Hammer gewesen. Im Leben hätte ich nicht damit gerechnet, auf dieser seiner ersten Messe ein solches freies Spiel zu bekommen. Noch dazu an diesem Tag mit dieser britzelnden Atmosphäre. Meine Güte, war das toll.

Ich kam langsam wieder runter. Wir räumten ganz entspannt ein. Ich überlegte, wie ich den Sonntag gestalten sollte. Da hatte ich fünfzehn Minuten und ich hätte ja gerne beide Pferde in der Bahn gehabt. Ich wagte aber ehrlich gesagt nicht, jemandem in dieser Halle Nacariño in die Hand zu drücken. Nacariño frei lassen wäre natürlich gegangen, aber ich wollte dann ja auch Sachen mit beiden zeigen. Plan P? Q? R? entstand und der sah vor, nur noch Dón mitzunehmen. Ich hatte ihn nicht einmal vor Publikum geritten, das wollte ich so gerne noch. Nacariño war heute mit der Situation im Stall so viel entspannter umgegangen und hatte sich noch einmal so gut reiten lassen (wenn auch reichlich angestachelt durch den frei laufenden Dón), insgesamt trug er aber innerlich deutlich mehr Spannung mit sich herum. Er hatte das großartig gemacht, er konnte es nicht viel besser machen, und das wollte ich belohnen, indem er zu Hause bleiben durfte.
Dón konnte ich guten Gewissens noch einen Tag mitnehmen, ihn schien das alles hier immer größer und stolzer zu machen. So fühlte es sich gut und richtig an, und als dann Christina auch noch fragte, ob ich sie am Sonntag unbedingt brauchen würde…?? stand der Entschluss fest, nur mit Dón zu fahren und Nacariño und Christina den freien Tag zu gönnen 🙂

Nacariño haute beim Verladen tatsächlich einmal ab, er ging ein paar mal zögerlich nur bis zur Schulter in den Hänger und drehte dann plötzlich den Kopf weg, wurde Beton und war weg. Nicht weit, und ich wusste auch sofort, dass er weiter nicht gehen würde. Er stand da, sah mich an und wartete. Ich schlenderte ihm lächelnd entgegen, um mich herum rief alles „Macht das Tor zu! Macht das Tor zu !“ – pfffff, wozu? Weiter geht er nicht.
Tat er nicht, ich sammelte ihn in Ruhe ein und dann ging er ohne weitere Albernheiten hoch. Das war noch einmal so ein Spannungs-Ausbruch, der mir auch zeigte, dass es gut für in war, nicht noch einen Tag dran zu hängen, denn früher hat er Spannungen eben gleich so entladen, inzwischen reißt er sich immer mehr für mich zusammen, aber es brodelt trotzdem in ihm. Und muss sich irgendwann irgendwie entladen. Dass er sich entspannter gibt, heißt noch nicht, dass er es ist. Das wurde mir hier einmal kurz deutlich.
Er braucht also einfach Zeit und Routine, muss immer wieder mitkommen und viel sehen. Für ihn war das hier eine schier ungeheure Leistung. Mit einem Rückblick auf die letzten eineinhalb Jahre und dem Gefühl, dass er ohnehin erst seit Anfang diesen Jahres „so richtig“ aufmacht, ist das einfach unglaublich, wie toll er das hier mitgemacht hat.
Und das wird nun belohnt und ich freue mich riesig auf den morgigen Tag nur mit Dón!

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