Klassisch? Englisch? Ein Ausflug zu den Lektionen

Die Verwirrung ist inzwischen ja perfekt. Jeder versteht etwas anderes unter den Begriffen „englisch“, „FN“, „klassisch“ – für einige ist das auch alles dasselbe…

Meiner Meinung nach können die Engländer nichts dafür, was heutzutage in – Achtung, Wortspiel:  übl(ich)en deutschen Reitställen unter „Dressurreiten“ verstanden wird – den Engländern verdanken wir wohl noch am ehesten die Jagd- und Rennreiterei, und dort wird auch eine ganz andere Form des Kinder- und Ponysports betrieben als hier.
Den Stil unserer typischen Dressursättel allerdings, den verdanken wir ihnen auch, und daher kommt wohl auch der Begriff „englisch reiten“ – bezogen auf die Sattelform.
Dem Italiener Caprilli verdanken wir den heutigen Springsitz.
Die klassisch-barocke Reiterei hat ihren Ursprung in Italien und Frankreich.
Sind die Holländer die Erfinder der Rollkur? Mitnichten, das beweisen alte Reiterstandbilder. Gerollt und auf die Brust gezogen wurde, seit Menschen versuchen, Pferde reiterlich zu beherrschen.
Was ist denn nun „englisch“, was „klassisch“, was macht die FN?
Und was ist gut, was böse??

Wie das mit den schwarzen Schafen so ist – es gibt in jeder Herde welche. Auch in jeder  Form der Reiterei bzw. in jeder Form, mit Pferden umzugehen und sie auszubilden, zu was auch immer. Schön ist immer und in jeder Reitweise, was leicht, harmonisch, elegant, tänzerisch, spielerisch leicht und zufrieden aussieht. Die Wege dorthin mögen verschieden sein, die Idee dahinter ist, egal, wo man fragt, im Prinzip immer dieselbe. Eins sein mit dem – je nach Bedarf – mehr oder weniger ausstrahlungsstarken, leistungsfähigen, schönen und gesunden Pferd.

Die bis heute fast unveränderten Lektionen der „damaligen klassischen“ Reiterei sind neben den Grundgangarten Schritt, Trab und Galopp die Seitengänge (Travers, Renvers, Schulterherein, Traversale), Piaffe und Passage.
Die fliegenden Galoppwechsel von Sprung zu Sprung gelten nicht als „klassische“ Lektion in dem Sinne, da diese erst später, im Prinzip mit Beginn des turniermäßigen Dressursports, in die Liste der Lektionen aufgenommen wurden.
Schulen über der Erde hingegen sind im Dressur-Turniersport nicht zu finden, eindeutig jedoch zählen sie zu den „klassischen“ Lektionen.
Olympische Disziplin ist die Dressurreiterei erst seit 1912, entstanden aus der Militär-Reiterei.
Die Frage, was demzufolge am heutigen Turniersport bzw. der Ausbildung, wie die FN sie fordert, im Wortsinne „klassisch“ ist, muss also erlaubt sein – auch ohne den Vergleich der Lektionen.
Laut Wikipedia heißt „klassisch“: vollendet, zeitlos geformt, herkömmlich, traditionell, als Vorbild geltend (was ja alles nicht so wirklich auf die heutige Form des Turniersports zutreffen mag, viel mehr hingegen auf lange bestehende Arbeitsreitweisen bzw. die durch Xenophon bzw. de la Guérinière überlieferten Methoden, Pferde auszubilden).

Eine Piaffe, die zu Zeiten der großen Reitmeister nicht erkennen ließ, dass sich das Pferd aus ihr auf die Hinterhand erheben könne, hatte in der damaligen Zeit keinen Wert!
Wie anders stellen sich die Piaffen im heutigen Turniersport oft dar…

Ich möchte hier nun die „klassischen Lektionen“ vorstellen und habe auch den Spanischen Schritt mit aufgeführt, da dieser in der klassisch-barocken Reiterei eine gerne und häufig genutzte Lektion ist. Das Schenkelweichen zählt aufgrund der fehlenden Biegung nicht zu den klassischen Seitengängen!

Schulterherein:

Das Schulterherein, die „Mutter aller Seitengänge“:

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Schulterherein an der Hand (5j. P.R.E. Puro Gozo), am Langen Zügel (Shetlandpony Maja) und geritten (P.R.E. Joya)

Das Pferd geht gestellt und gebogen gegen die Bewegungsrichtung.
Die FN verlangt auf regulären Turnieren das Schulterherein auf drei Hufspuren, die klassisch-barocke Reiterei nutzt jedoch auch das Schulterherein auf vier Hufspuren, welches einen deutlich höheren gymnastizierenden Wert hat.
Hierbei können, wie auf dem Foto zu sehen, alle vier Beine kreuzen. Beim Schulterherein auf drei Hufspuren tritt das innere Hinterbein in die Spur des äußeren Vorderbeines.
Die Vorstufe zum Schulterherein stellen Reiten in Stellung und Schultervor dar.

Renvers:

Renvers: P.R.E. Joya im Trab, Hannoveraner Fàscino im Galopp am Langen Zügel

Im Renvers, welches sich aus dem Schulterherein entwickeln läßt, ist das Pferd in die Bewegungsrichtung gestellt und gebogen.

Je nach Abstellung zur Bande kann man die Hinterberbeine kreuzen lassen oder nicht.
Die FN verlangt im Turniersport das Renvers auf drei Hufspuren, hierbei kreuzen die Hinterbeine nicht. Das innere Hinterbein tritt in die Spur des äußeren Vorderbeines.
Um es ganz korrekt auszudrücken: Das äußere Hinterbein tritt in die Spur des inneren Vorderbeines, denn innen ist da, wohin das Pferd gestellt ist. Beim Renvers auf der rechten Hand, wie auf dem Foto oben bei Joya zu sehen, ist also nun links innen!

Travers:

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Travers am Langen Zügel (P.R.E. Joya), Travers auf drei und auf vier Hufspuren (Hannoveraner Fàscino)

Das gleiche Bewegungsmuster haben wir im Travers, welches auch als Kruppeherein bezeichnet wird und die Vorstufe zur Traversale darstellt.

Auch hier ist das Pferd in die Bewegungsrichtung gestellt und gebogen.
Je nach Abstellung zur Bande kann man die Vorderbeine kreuzen lassen oder nicht.
Die FN verlangt im Turniersport das Travers auf drei Hufschlägen, hierbei kreuzen die Vorderbeine nicht. Das äußere Hinterbein tritt in die Spur des inneren Vorderbeines.

Die Traversale:

traversale

3x Lusitano Negócio: Galopptraversale an der Hand, Trabtraversale einhändig blank, Trabtraversale am Langen Zügel

In der Traversale verlässt das in die Bewegungsrichtung gestellte und gebogene Pferd die Anlehnung an die Bande und kreuzt – je nach seinen altersbedingten und körperlichen Möglichkeiten – mit allen vier Beinen gleichmäßig. Die Traversale ist in allen Grundgangarten möglich und kann sowohl lösend als auch in höchster Versammlung ausgeführt werden (z.B. in der Passage).

Die Piaffe:

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Piaffe unter dem Reiter (P.R.E. Joya), am Langen Zügel und frei (Lusitano Negócio)

Die Piaffe ist eine Bewegung im Zweitakt mit wenig Raumgewinn bzw. auf der Stelle.
Die Unterarme der Vorhand des Pferdes heben sich idealerweise fast zur Waagerechten, die Hinterhand tritt bei gesenkter Kruppe vermehrt unter den Körper und die Hinterhufe federn vom Boden ab bis etwa zur Höhe des Fesselgelenks des gegenüberliegenden Hinterbeines. Eine je nach Exterieur mehr oder weniger starke Hankenbeugung ist ein Kennzeichen der gut ausgeführten Piaffe. Das Pferd wirkt kürzer und (vorne) größer durch die Aufrichtung bei guter Schulterfreiheit.
Das sieht dann in Frack und Zylinder idealerweise nicht anders aus.

Die Piaffe kann in höchster Versammlung ausgeführt werden, jedoch auch mit weniger Hankenbeugung und mehr Raumgewinn durchaus lösenden Effekt haben. Hier spricht man dann von „halben bzw. verkürzten Tritten“.
Eine Piaffe läßt sich auch als Pirouette reiten, einige wenige Pferde beherrschen auch die Piaffe rückwärts. Man sieht – je versammelter eine Lektion, je größer ist ihre Bandbreite an Möglichkeiten!

Die Passage:

1_passage

Passage an der Hand (Hannoveraner Fàscino), am Langen Zügel (P.R.E. Joya) und einhändig blank (Lusitano Negócio)

Die Passage ist eine Bewegung im Zweitakt mit verzögerten Tritten und einer verlängerten Aushaltephase des angehobenen diagonalen Beinpaares. Die Unterarme werden bis fast zur Waagrechten angehoben. Das Pferd geht mit einem geringeren Raumgewinn vorwärts, die Hinterhand muss gleichermaßen schub- und tragfähig sein, um die Passage über den Rücken schwingen zu lassen.
Diese Bewegung ist aus Imponiergehabe entstanden, jedoch passagieren imponierende Pferde mit stark angespanntem Körper. Es gilt, den Körper des Reitpferdes soweit reifen zu lassen und soweit zu kräftigen, dass diese herrlich anzusehende Lektion schwingend und losgelassen ausgeführt werden kann.

Spanischer Schritt, Spanischer Trab und Spanischer Gruß:

1_sp.schritt

Spanischer Schritt geritten (Barockhengst Esperanzador), ohne Sattel und Zaum und im freien Spiel (P.R.E. Joya)

Im Spanischen Schritt hebt das Pferd die Vorderbeine hoch, so dass der jeweilige Unterarm etwa waagrecht ist, und führt das Bein in einem großen Bogen nach vorne.
Das Maß der Bewegung hängt jedoch vom Exterieur ab, nicht jedes Pferd erreicht hier die gleiche Ausdrucksstärke. Die Übung ist trotzdem eine gute Gymnastik für die Schulter eines jeden Pferdes. Zudem ist sie geeignet, das Selbstbewusstsein zu fördern.

Und auch das ist natürlich in Frack und Zylinder möglich!

P.R.E. Joya im Spanischen Schritt, April 2012

Nicht zu verwechseln ist der Spanische Schritt mit dem „Spanischen Tritt“, was in der Spanischen Hofreitschule zu Wien die Bezeichnung für die Passage ist.

Vom Spanischen Trab spricht man, wenn die Bewegung des Spanischen Schrittes – der weite Raumgriff nach vorne oben mit den Vorderbeinen – im Trab ausgeführt wird. Dies wird auch als „gestreckte Passage“ bezeichnet. Wobei man hier noch differenzieren könnte, dass der Spanische Trab mehr den Trabrhythmus beibehalten sollte und die gestreckte Passage dann tatsächlich eine Passage mit gestreckten Vorderbeinen sein kann – je nach Möglichkeiten des Pferdes. Großartig anfühlen tut sich beides
🙂

1_sp.trab

Spanischer Trab an der Hand (P.R.E. Joya) und unter dem Sattel (Barockhengst Esperanzador)

Dann soll der Vollständigkeit halber auch der Spanische Gruß erwähnt werden – ein ausgehaltenes Strecken eines Vorderbeines, welches ein wenig Geschick und ein gutes Gleichgewicht des Pferdes erfordert.

Spanischer Gruß am Langen Zügel (Esperanzador) und unter dem Reiter mit Halsring (Fàscino)

Spanischer Gruß am Langen Zügel (Esperanzador) und unter dem Reiter mit Halsring (Fàscino)

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